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Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin

Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin

Titel: Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin
Autoren: Kester Schlenz
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Leben in ihm war. Mit dem Fußende des Bettes stieß ich die Tür der Station auf – und zuckte zusammen. Vor mir stand der junge Arzt von vorhin. Er brauchte ein paar Sekunden, um die Situation zu erkennen. Aber dann registrierte er, was los war.
    »Was zum Teufel machen Sie da?« schrie er und rannte um das Bett herum auf mich zu. Für den Bruchteil einer Sekunde dachte ich, da ss nun alles vorbei sei.
    Er ri ss mich von dem Bett fort, blickte entsetzt auf Michael und schob das Blatt hektisch zurück an seinen alten Platz. »Wie kommen Sie dazu, so etwas Wahnsinniges zu tun?« schrie er wieder. »Sie haben den Mann hier wahrscheinlich auf dem Gewissen.«
    »Genauso ist es, Herr Doktor«, sagte ich, ging zu ihm und drosch ihm meine Faust in den Nacken. Er brach sofort zusammen.
    Als ich mich wieder zu Michael umdrehte sah ich, dass seine Augen offen waren. Er war bei Bewusstsein. »Ludmilla«, flüsterte er.
    »Mein Gott, Michael.«
    Ich rannte zu ihm und stand schließlich hilflos vor seinem Bett. Michael sah mich mit sonderbarem Blick an und hob seine Hand. Es schien ihn unendliche Mühe zu kosten. Ich nahm sie und zog sie an mein Gesicht. Michael strich mir über die Wange. Zärtlich, kraftlos, wie ein leiser Windhauch.
    »Ich liebe dich«, sagte er leise.
    »Du stirbst, Michael«, antwortete ich.
    Er schwieg. Eine Träne lief seine Wange hinunter.
    »Willst du sterben?« flüsterte ich, »willst du das, Michael?«
    »Wer bist du, Ludmilla?«
    »Ich lebe, obwohl ich tot bin, und trinke das Blut von Menschen. Genau wie Carl es gesagt hat.«
    Er wandte den Blick ab.
    »Michael«, drängte ich weiter. »Willst du wirklich sterben? Oder willst du leben. Leben wie ich?«
    »Du kannst…?«
    Er verstummte.
    »Ja, ich kann dich zu einem der unseren machen. Wenn du es willst, Michael, können wir zusammen sein. Für immer. Aber der Preis ist hoch.«
    Er bäumte sich auf. »Mein Gott«, flüsterte er. Seine Hand verkrampfte sich. Dann fielen ihm die Augen zu. Michael war wieder bewu sstlos.
    Ich stand bewegungslos da. Was hatte er mir noch sagen wollen? Wollte er sterben? Oder wollte er sein wie ich?
    Ich wusste nur eines: trotz allem, was geschehen war – er hatte gesagt, dass er mich liebte.
    Mein Entschlu ssstand fest. Ich würde es tun. Denn tief im Innern war mir klar: was ich ertragen konnte, würde auch er ertragen können. Ein Leben jenseits aller irdischen Moral.
    Vorsichtig hob ich Michael aus dem Bett, legte ihn sanft auf den Boden und pla tzierte den bewusstlosen Arzt an seine Stelle. Mit dem Beatmungsgerät verdeckte ich sein Gesicht. Dann rannte ich in den »Pflege- und Arbeitsraum«, packte einen der Rollstühle, hastete zurück in die Intensivstation und hob Michael in den Stuhl.
    Atemlos hielt ich schließlich inne und lauschte, ob sich noch jemand näherte. Doch es war nur das hektische Treiben aus dem OP-Trakt nebenan zu hören. Michael sah erbärmlich aus, wie er so leblos in dem Stuhl saß. Ich hatte keine Zeit mehr zu verlieren. Ich sah kurz hinaus auf den Gang, entdeckte niemanden und schob den Stuhl schnell hinaus. Ich zwang mich, in normalem Tempo zu gehen, um nur nicht aufzufallen!
    Ich kam etwa zwanzig Meter weit, als mir eine Schwester auf dem Gang entgegenkam. Die verschiedenen Optionen rasten mir durch den Kopf. Einfach weitergehen? Fliehen? Die Frau niederschlagen? Ich entschied mich fürs Bluffen und nickte der Frau freundlich zu, während ich Michael eilig an ihr vorbeischob. Sie nickte zurück und ging ohne erkennbare Regung an mir vorbei.
    Endlich erreichte ich den Fahrstuhl. Nur ein Stockwerk trennte mich vom Obergeschoß, wo der Ausgang lag. Ich drückte den Knopf und wartete. Dann hörte ich Stimmen. Viele Stimmen. Sie kamen aus dem Fahrstuhlschacht. Gleich würden die Türen aufgehen und einen ganzen Pulk von medizinischem Personal ausspucken. Meine Chancen, diese Begegnung zu überstehen, waren gleich Null. Was sollte ich tun? Die Stimmen wurden lauter. Schon ertönte das Bremsgeräusch des Fahrst uhls. Nur noch Sekunden! Ich riss den Rollstuhl herum und hastete den Gang hinunter in Richtung Notfallzentrum. Im letzten Augenblick war mir die rettende Idee gekommen. Die Schleuse für die Unfallwagen. Dort ging es nach draußen.
    Ich schob Michael im Laufschritt zurück in Richtung Intensivstation, bog dann aber ab zur Notfallaufnahme. Hinter mir ertönte Stimmengewirr. Der Fahrstuhl hatte eine ganze Armada von Leuten ausgespuckt, die schnell näher kamen. Der Gang vor mir gabelte
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