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Buerger, ohne Arbeit

Titel: Buerger, ohne Arbeit
Autoren: Wolfgang Engler
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    |9| Vorwort
    In einem Gedicht von Goethe aus dem Jahr 1797,
Der Schatzgräber
, schleppt sich ein alter Mann durch seine langen Tage. »Arm am Beutel, krank am Herzen«, sehnt er sich wie viele seinesgleichen
     danach, Reichtum ohne Mühe zu erwerben und frei von Sorgen zu genießen. Seine Schmerzen zu beenden, bricht er auf, einen alten
     Schatz zu heben, von dem die Erzählungen der Altvordern seit Generationen berichten. Am magischen Ort eingetroffen, schlägt
     er Kreise, trägt Kraut und Knochenwerk zusammen und entzündet Flammen. Sollte sich unter den Geistern, die er beschwört, just
     der Teufel einfinden, er ist bereit, ihm seine Seele zu verkaufen. Doch dann erscheint ein schöner Knabe, bekränzt mit Blumen,
     und in den Händen hält er einen Himmelstrank. Den reicht er dem Alten und knüpft an diese Geste eine kleine Rede an:
    Trinke Mut des reinen Lebens!
    Dann verstehst du die Belehrung,
    Kommst mit ängstlicher Beschwörung
    Nicht zurück an diesen Ort.
    Grabe hier nicht mehr vergebens!
    Tages Arbeit, abends Gäste!
    Saure Wochen, frohe Feste!
    Sei dein künftig Zauberwort.
    Der Zauber, der hier auf der Arbeit liegt, ist sichtlich von dem, was nach ihr kommt, geborgt: von der Arbeitsruhe, der Geselligkeit,
     dem Feiern mit Freunden und Vertrauten. Wie alles Geborgte, verlangen auch diese kostbaren Momente des entspannten Lebens
     nach Rückerstattung, nach erneuter Anspannung der Kräfte, nach werktätigem Dasein. |10| Arbeit ist nicht das ganze Leben, aber ein Leben ohne Arbeit, das ist nicht feierlich.
    »Tages Arbeit, abends Gäste! / Saure Wochen, frohe Feste!« – für einen vom Schicksal gebeugten Mann an der Schwelle zum Greisenalter
     sind das in unseren Ohren nicht die passenden Worte. Die Arbeit, der man selbst enthoben ist, zu preisen hat immer etwas Schiefes,
     Herablassendes, da fügt sich Goethe nahtlos in die Tradition der gebildeten, sozial gehobenen Stände ein. Auch zeigt er sich
     um ausreichende Gelegenheit zur Arbeit unbesorgt. Wer Arbeit sucht, der wird auch Arbeit finden, das war wohl seine Ansicht.
     Und nur wer Arbeit leistet, gewinnt sein Leben auf die rechte Art, stellt sich ernsthaft in die Welt hinein, auf festen Grund;
     da folgen wir ihm wieder.
    Den Schmerz begreiflich zu machen, der dem Verlust der Arbeit noch immer innewohnt, bildet den Ausgangspunkt dieser Untersuchung.
     In Arbeitsgesellschaften wie den unseren büßen Menschen, die ihre Arbeit verlieren oder keine Arbeit finden, die Kontrolle
     über ihr Leben ein, mögen sich ihre materiellen Lebensumstände, äußerlich gesehen, auch erträglich gestalten. »Abends Gäste,
     frohe Feste« – nach des Tages erlittenem Müßiggang? Wie gliedert sich ein Leben, dem der Ernst versagt bleibt? Wie schafft
     es aus sich selbst heraus Zäsuren, Antriebe, Weltbezüge? Wie unterscheidet es zwischen »wichtig« und »unwichtig«, »zuerst«
     und »später«, wenn das, was jetzt geschehen könnte, weder Not noch Eile hat? Leben ist Strebung, Richtung, Richtungslosigkeit
     bedeutet Tod. Oft genug ist »arbeitslos« nur die Kurzform für die richtungslose Drift des Lebens. Und für ein Leben ohne Selbstrespekt
     und Anerkennung.
    »Bürger ohne Arbeit«, das wäre eine bloße Tatsachenfeststellung, die, so betrüblich sie auch klingt, dem Denken wenig Nahrung
     gibt. So ist es, leider, in allzu vielen Fällen. »Bürger, ohne Arbeit« setzt eine kurze Pause, lang genug, um einzuhalten.
     Bezweifelt, was auf das Komma folgt, nicht das, was vor ihm steht? Ist der Bürger ohne Arbeit ein |11| vollwertiger Bürger? Liest er in den Augen anderer nicht einen Vorwurf, den er notgedrungen teilt? Den Hinweis auf sich selbst
     als Mängelwesen, als Torso eines ordentlichen Menschen? »Bürger, ohne Arbeit«, das ist ein strenges Urteil, ist Leben in Gefahr
     und unter Vorbehalt. Das Ansehen und die Rechte, die der Bürger genießt, genießt er ungeschmälert nur als arbeitsames Wesen.
    Es gibt einen Satz, der die Weltanschauung der Lohnarbeitsgesellschaft wie kein anderer zusammenfaßt: »Jede Arbeit ist besser
     als keine Arbeit!« Diesen Satz anzugreifen, die Ideologie, die auf ihm aufbaut, zum Einsturz zu bringen bildete das Motiv
     zu diesem Buch. Es hat seinen Zweck erfüllt, wenn die besinnungslose Rede, die den Bürger und den Menschen, mir nichts, dir
     nichts, unter den Arbeiter knechtet, künftig zumindest öffentlich stockt.
    Ratschläge zur Lektüre wüßte ich dem mündigen Leser nicht zu geben, einen
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