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Buerger, ohne Arbeit

Titel: Buerger, ohne Arbeit
Autoren: Wolfgang Engler
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Regel? Arbeitet nicht auch, sogar im eigentlichen Sinne, wer seine Kräfte am Objekt verzehrt,
     sich aufreibt und dennoch kaum die nackte Existenz gewinnt? Wäre die Krise der Arbeitsgesellschaft (von deren Ende ganz zu
     schweigen) nicht bald behoben, wenn Arbeit wieder zum geschichtlichen Normaltarif geleistet würde? Der Streit um Arbeit ist
     keine akademische Veranstaltung; die Affinität bestimmter theoretischer Vorstellungen zu bestimmten (wirtschafts-)politischen
     Strategien ist eng, für die Autonomie des Denkens bedrohlich eng.
    Diese Verquickung tritt noch deutlicher hervor, wenn die Perspektive wechselt. Die Frage lautet dann nicht, ob Arbeit das
     respektable Dasein in sich einbegreift, sondern umgekehrt, ob und inwiefern der Begriff des Menschen den der Arbeit einschließt
     (gleichgültig in welcher Form und Güte). Bildet Arbeit den humanen Wesenskern, so daß wahrhaft Mensch nur ist, wer sich in
     den sozialen Schraubstock fügt? Was bleibt vom »Menschen«, wenn man die »Arbeit« von ihm abzieht? Eine Kultur, die in der
     Überzeugung lebt, daß Arbeiten und Menschsein ineinandergreifen wie die Glieder einer logischen Figur, wie Schluß und Rückschluß,
     wird die Arbeitsgesellschaft mit allen nur erdenklichen Methoden verteidigen und kein Zwangsmittel verschmähen, |25| das ihre Annahme sicherstellt. Sofern und solange sich soziale Ordnung und Arbeit wechselseitig vertreten, steht das Leben
     ohne Arbeit für Regellosigkeit, Schmarotzertum; es bedarf schon gehöriger Anstrengungen, sich diesem Urteil innerlich zu widersetzen.
     Bislang hat die Arbeitsgesellschaft noch jede Herausforderung gemeistert, vor die sie sich gestellt sah. Das große Gefäß,
     das alles für Menschen Wertvolle und Unverzichtbare in sich birgt, ARBEIT, trug Risse davon, aber es ging nicht entzwei. Zerbrechen
     kann es erst, wenn es als das erkannt wird, was es in Wahrheit ist: eine kulturelle Projektion des menschlichen Gehirns.
    5. Wie sich im Verlauf der weiteren Darstellung noch wiederholt erweisen wird, wäre es viel zu einfach, den Streit der Konzeptionen
     allein im Oben-unten-Schema anzusiedeln, so zu tun, als würden nur die Regierenden verbissen verteidigen, was die Mehrheit
     der Regierten im Prinzip aufzugeben bereit ist: ein auf Arbeit aufgebautes Leben. Die Kontroverse geht mitten durch die Gesellschaft,
     und die Befürworter arbeitsfreier Daseinsgarantien wissen die Mehrheitsmeinung gegen sich. Verbreitet ist die Präferenz für
     »gute« und die Abneigung gegen »schlechte« Arbeit, gegen den »Arbeitsverschnitt«, den Politiker und Unternehmer in Umlauf
     setzen. Als Reaktion auf das Dahinschwinden wertgeschätzter Arbeit erheben sich seit längerem Versuche, der Arbeitsgesellschaft,
     dem modernen Arbeitsglauben allgemein, ganz neue Quellen zu erschließen. Sie brechen bewußt mit der unter Regierenden wie
     Regierten geläufigen Identifizierung von Arbeit mit Lohn- bzw. Erwerbsarbeit. Das Streben geht dahin, Handlungen und Tätigkeiten
     unterhalb der formellen Erwerbsschwelle so aufzuwerten, daß sie dieser moralisch gleich geachtet und materiell annähernd gleich
     geschätzt werden. Da sie regelmäßiges und kontinuierliches Erwerbsleben überhaupt erst ermöglichen, nicht zuletzt durch die
     Produktion und Aufzucht immer neuer Erwerbsgenerationen, sollen sie als Arbeiten gelten wie andere Arbeiten auch. |26| Sollte dieses reformierte, »erweiterte« Arbeitsverständnis triumphieren, muß uns um die Zukunft der Arbeitsgesellschaft nicht
     bange sein, steuern wir auf Gesellschaften zu, die von »Arbeit« geradezu überschwemmt werden. Aber vielleicht geht es gar
     nicht um Sieg oder Niederlage, um Alles oder Nichts; vielleicht sollten wir uns auf Kompromisse einstellen, auf »unsaubere«
     Allianzen zwischen Verfechtern, Reformern und Kritikern der Arbeitsgesellschaft? Gewiß ist auf diesem ungewissen Feld nur
     eines: Arbeit und Arbeitsgesellschaft sind, wie alle kulturellen Phänomene, in hohem Maße das kollektive Produkt von »Wille
     und Vorstellung«.
    6. Die Art, wie hier auf die Arbeit, den Arbeiter als Grundfigur des Sozialen geblickt wird, erstreckt sich im folgenden auch
     auf den Bürger und den Menschen. Konsequent zu Ende gedacht, führt diese Betrachtungsweise zum methodologischen Nominalismus.
     Anders als sein dogmatischer Vorläufer leugnet dieser das Wesen der Dinge nicht; er zeigt sich am Zeitlos-Allgemeinen nur
     nicht interessiert. Arbeiter, Bürger, Mensch sind für ihn das,
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