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Buerger, ohne Arbeit

Titel: Buerger, ohne Arbeit
Autoren: Wolfgang Engler
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Signums ihrer Unentbehrlichkeit, verteidigt, vielleicht sogar gefestigt werden? Wie läßt sich umgekehrt verhindern, daß
     das Schrumpfen |31| oder der Verlust der Arbeiterrolle auch auf die Bürgerrolle einen Schatten werfen, auf das Recht, Rechte zu haben und wahrzunehmen?
     »Wer seinen Arbeitsplatz verliert, ist unglücklich und wütend, und in fortgeschrittenen Industrienationen haben Arbeitslose
     eine Stimme. Sie wählen nicht nur, sie demonstrieren und randalieren auch.« 12 Wie lange werden die Eliten und Mehrheiten diesen Protest ohne legitimen Grund und Würde dulden?
    Thomas H. Marshall zufolge vollzog sich die Entwicklung bürgerlicher Rechte auf dieser Linie: juristische, politische, schließlich
     sozioökonomische Rechte. Erst kamen die Meinungsfreiheit und die Gleichheit vor dem Gesetz, dann das Recht auf politische
     Organisation sowie das Wahlrecht, die dritte, zeitlich letzte Gruppe rechtlicher Ansprüche bezog sich auf ökonomische Wohlfahrt
     und soziale Sicherheit. 13 Werden wir demnächst Zeugen einer rückspulenden Entwicklung, die als erstes die SOZIALEN Garantien jener in Zweifel zieht,
     die immerfort nehmen, ohne zu geben – rechtliche Sonderbehandlung für die Zwangsreservisten der Arbeitswelt? Oder sind wir,
     ohne dessen recht gewahr zu werden, schon in sie eingetreten? Ich fürchte, wir sprechen von der Gegenwart! (§ 22.3)
    § 3 Befreiung von der Arbeit, Befreiung in der Arbeit
    1. Arbeit, wie sie aus verschiedenem sozialen Blickwinkel erscheint, als kulturelles Phänomen und nicht als »Ding an sich«,
     das ist das Thema dieses Kapitels. Als Angehörige einer von Mühsal und Existenzsorgen verschonten Oberschicht blicken Platon
     und Aristoteles voll unverhohlener Geringschätzung auf die Arbeit. Sofern Sklaven sie verrichten, gilt sie als doppelt minderwertig,
     als unfreies Tun unfreier Individuen, wobei der Primat der Kultur auch hier zur Geltung kommt. Arbeit ist minderwertig in
     erster Linie nicht, weil Sklaven sie versehen, sondern weil ihr Vollzug |32| als minderwertig, als versklavend gilt, wird sie zur Domäne der Recht- und Stimmlosen. Sofern mit Bürgerrechten ausgestattete
     Menschen Arbeit leisten, herrscht eklatanter Widerspruch zwischen Subjekt und Aktion: Freie unterwerfen sich dem Zwang und
     büßen diese Unterwerfung mit dem Verlust der eigentlichen Freiheit, von solcher Not erlöst zu leben. Die Verrichtung selbst
     bleibt sklavisch, Sklavendienst, wenn nicht für den Herren, so doch an der Natur, sozial gebeugte Haltung, Bruch mit der Norm
     aufrechten Gangs, dem
orthos
. Die wahre Freiheit liegt in dieser Perspektive jenseits der Arbeit, der individuelle oder politische Akt der Befreiung muß
     demgemäß in die Befreiung VON der Arbeit münden. Arbeit und Freiheit stehen zueinander in schroffer Opposition (§ 18.2–5).
    2. Das spätere – sozialutopische – Durchdenken dieser Problematik operiert mit zwei Optionen, zwei Freiheitsgraden; es fügt
     der Befreiung von der Arbeit den komplementären Gedanken einer möglichen Befreiung IN der Arbeit, DURCH Arbeit hinzu. Oft
     genug schwankt es zwischen beiden Möglichkeiten unentschieden hin und her, zeigt es sich einer älteren Auffassung der Arbeit
     noch verpflichtet und zugleich um eine neue bemüht, die mit der Ächtung bricht. Thomas Morus dekretiert in seiner »Utopia«
     Arbeitspflicht für alle, Abschaffung der parasitären wie erzwungenen Untätigkeit und den Übergang zu gemeinschaftlichem Tun,
     das leichter von der Hand geht und, da es allen obliegt, auch reichere Früchte trägt. Alle »schmutzigen und mühsamen Arbeiten«
     weist er jedoch Sklaven zu und versichert seine Leser einer Zukunft, in der »jeder sein Gewerbe mit Fleiß betreibt, ohne sich
     jedoch, gleich einem Lasttiere, in ununterbrochener Arbeit vom frühesten Morgen an bis in die tiefste Nacht abzumühen«. 14 Ein sechsstündiger Arbeitstag, bei wachsender Produktivität auch ein kürzerer, erscheinen ihm als lang genug, um alles Notwendige
     hervorzubringen und zugleich allen ein erfülltes Leben auch nach der Arbeit zu ermöglichen. Seine prinzipielle |33| Hochschätzung, Aufwertung der Arbeit reibt sich an vielsagenden Ausnahmen. Zwar gewährt der Zukunftsstaat besonders begabten
     Mitgliedern Arbeitsbefreiung für literarische und wissenschaftliche Studien, doch erfüllt einer die in ihn gesetzte Hoffnung
     nicht, stößt man ihn ohne zu zögern unter die Handarbeiter zurück. 15 Auch hier steht die wahre Freiheit dem Kopf
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