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Buerger, ohne Arbeit

Titel: Buerger, ohne Arbeit
Autoren: Wolfgang Engler
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näher als der Hand. Arbeit wird zur Voraussetzung des Bürgerseins und bleibt
     dennoch im Kern Sklavendienst des Körpers, den es immer weiter einzuschränken gilt, damit die dadurch gewonnene Zeit der freien
     Ausbildung des Geistes zugute kommen kann. »Darin liegt nämlich … das Glück des Lebens.« 16 – Dieselbe Doppelbelichtung der Arbeit findet man in Campanellas
Sonnenstaat
, diesem klerikalkommunistischen Nirgendwo. Gleich Morus preist der Mönch aus Kalabrien die gemeinschaftliche Arbeit nach
     Abschaffung des Privateigentums als leicht und einträglich, rühmt er den freiwilligen Arbeitseifer, die hohe Produktivität
     des neuen Menschen. Länger als vier Stunden am Tag soll diese Freude allerdings nicht währen; die verbleibende Zeit ist für
     geistig-moralische Exerzitien bestimmt, die den Menschen erst zum Menschen reifen lassen. 17 Befreiung in der Arbeit bleibt der Befreiung von der Arbeit untertan.
    3. Dieses schwankende Grundmuster utopischen Denkens erhielt sich bis weit ins neunzehnte Jahrhundert hinein. Gracchus Babeuf
     erklärt die »strenge Pflicht mitzuarbeiten« zur Grundlage der Assoziation und zur Voraussetzung aller rechtmäßigen Ansprüche
     an das Gemeinwesen, um in fast demselben Atemzug die Muße zu feiern, die »angenehme Freizeit«. 18 Étienne Cabet, kaum proklamiert er, »daß alle Bürger
Arbeiter
sein müssen«, läßt er alle schweren, gefährlichen und widerwärtigen Arbeiten von Maschinen verrichten und fordert den menschlichen
     Verstand auf, »nach Mitteln und Wegen zu suchen, die Rolle des Menschen auf die Aufsicht von Maschinen zu beschränken«. 19 Blanquis Projekt der Nationalwerkstätten zur Befreiung |34| der Arbeit oder die Sozialexperimente von Robert Owen geraten früher oder später an dieselbe Weggabelung: Dort zweigt der
     Pfad der Arbeit ab, durch die der Mensch sich Bürgerrechte erst erwirbt, hier lockt der Pfad der »Lebenszwecke« selbst, auf
     dem der Bürger sich zum Menschen bildet. 20 Noch Marx’ berühmte Unterscheidung zwischen dem Reich der Notwendigkeit und dem Reich der Freiheit im dritten Band des
Kapital
spielt mit diesem »Doppelcharakter der Arbeit« – einerseits Stoffwechsel der Gattung mit der Natur, der in gewisser Weise
     den Menschen selbst erzeugt, andererseits Grenzbezirk des Reichs der Freiheit, das erst dort beginnt, »wo das Arbeiten, das
     durch Not und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhört« 21 . Trügerisch auch die Hoffnung auf den »gesellschaftlichen Gesamtarbeiter«, der den produktiven Apparat kollektiv in Besitz
     nimmt und die Arbeit befreit. Scheitert die persönliche Inbesitznahme dieses Apparates doch bis heute und heute mehr denn
     je an seiner komplizierten, technisch technologischen Gestalt, die es vom Werkzeug distanziert. Wachsende Freiheitsgrade können
     sich hier einzig auf Segmente, Ausschnitte, überschaubare Partien dieses Apparates beziehen, vor allem auf die Art und Weise,
     wie Arbeit organisiert wird, durch Ausschluß oder Einbeziehung selbständigen Handelns.
    4. All diesen Vorstellungen, Konzepten und Projekten gemeinsam ist das Ringen um die Emanzipation der Arbeit, um ihre Aufwertung,
     Höherschätzung bis hin zu dem Gedanken, Arbeit als wertvollster, schöpferischster Aktivität des Menschen den höchsten gesellschaftlichen
     Rang zu erobern. Aber die überkommene Erfahrung und Anschauung der Arbeit als Qual, Entbehrung, Auszehrung schwingt in diesem
     Bemühen leiser oder vernehmlicher mit. – Auch kommt man nicht umhin zuzugestehen, daß es Arbeiten gibt und künftig geben wird,
     denen kein Bedürfnis entspricht, elende Arbeiten, die verrichtet werden müssen, deren Vollzug, für sich genommen, den Menschen
     abstößt, |35| statt anzuziehen. Gerade weil Arbeiten dieser Art weder menschliche Zufriedenheit begründen noch gar ein kulturelles Privileg,
     können sie zum Objekt einer kulturellen Ausgleichshandlung werden, die eine Umwertung der Werte, namentlich der distributiven,
     bezweckt, indem sie den Lohn als Schmerzensgeld begreift, als notwendige und großzügige Entschädigung, die die Gesellschaft
     all jenen schuldet, die sich unter dieses Joch beugen. Wer sich in der Arbeit am meisten aufopfert, verdient das höchste Entgelt;
     wer seine Arbeit gern versieht, wem sie Bedürfnis ist, hat seinen Lohn im Grunde schon empfangen und wird geringer abgefunden.
     Wo die Befreiung in der Arbeit AN der Arbeit scheitert, wird die Forderung nach Wiedergutmachung laut, nach
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