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Buerger, ohne Arbeit

Titel: Buerger, ohne Arbeit
Autoren: Wolfgang Engler
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vielleicht ausgenommen. Das erste Kapitel rückt
     eine Köchin aus dem Osten Deutschlands, aus Cottbus, in den Blickpunkt. Dieser Lebensumstand färbt auf die Haltung, die sie
     vermittelt, merklich ab. Im essentiellen Sinn ist das, was sie zu »sagen« hat, so wenig ostdeutsch wie ihre Profession. Das
     gilt für sämtliche Passagen, die auf diesen Landstrich und seine Bewohner Rücksicht nehmen. Von einem Ostdeutschen geschrieben,
     versteht sich diese Darstellung ausdrücklich nicht als Beitrag zur »Völkerkunde«.
    Abschließend ist es mir ein Bedürfnis, meiner nun schon langjährigen Lektorin im Aufbau-Verlag, Maria Matschuk, für ihre in
     jeder Beziehung umsichtige Mitarbeit an diesem Buch zu danken. Mehr als jedes andere Vorhaben zuvor bedurfte dieses der Ausdauer
     auf beiden Seiten, ermutigender Kritik, und beides habe ich reichlich erfahren.

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    Die Köchin (Photo: Stefan Moses)
    |13| Die Köchin
    1. Wäre da nur das Gesicht – man könnte den Ausdruck der jungen Frau mißmutig nennen, eine Mischung aus Unbehagen und Lustlosigkeit.
     Die gesamte Erscheinung verrät, daß sie an der Inszenierung mitwirkte, deren Hauptperson sie ist. Sie gewährt dem Photographen
     einen freizügigen Einblick nicht nur in ihr Tagesgeschäft, und ihre herausfordernde Pose erwartet auch den späteren Betrachter.
     Die ganze Art, in der sie sich gibt, formuliert eine Mitteilung ohne Worte und liefert den Schlüssel zu ihrer Entzifferung
     gleich mit. Sie spricht zu uns durch Kontraste. Kontrast zunächst zwischen oben und unten. Bis zum Ende ihrer Schürze gewissermaßen
     im Dienst (als Küchenhilfe oder Köchin, wer wollte das auf Anhieb sagen?), lockt sie den herabgleitenden Blick auf eine andere
     Fährte. Die eleganten Schuhe, die kurzen gemusterten Strümpfe widerrufen die bis dahin dienstbereite Aufmachung. Der rechte
     Fuß, leicht eingedreht, flirtet mit der groben Kiste, die er sanft touchiert, und schickt das Auge wieder aufwärts. Die erotisch
     aufgelöste Körperspannung zitiert ein Darstellungsideal der griechischen Plastik zu Myrons und Phidias’ Zeiten, die Ponderation,
     löst das Zitat aber umgehend wieder auf. Der Körper ruht einzig auf dem linken Bein, das rechte, vorgeschoben, SPIELT nur
     Stütze, streicht die zurückgenommene, reservierte Haltung oberhalb des Körperschwerpunkts zusätzlich heraus. Die beiden Schüsseln
     in ihren Händen durchkreuzen diesen Grundkontrast und transformieren ihn zugleich. Sie erzählen vom Beruf auch unterhalb der
     Schürze, gehören aber kompositionell gesehen gar nicht in diese Vertikale. Sie bilden ein spannungsvolles Dreieck mit dem
     Gesichtsausdruck der Frau. Die präsentiert das Zubehör, als wäre es ihr fremd, fast peinlich; wie |14| ein Beweisstück, das sie überführt, als Köchin oder Küchenhilfe. Sie würdigt diese unwiderruflichen Zeugnisse ihres Berufsstands
     keines Blickes, sieht über sie hinweg, ins Ferne. Sie legt sich sozial fest, gezwungenermaßen, doch ihre Mimik, ihre Haltung
     erheben überdeutlich Einspruch gegen alles Feste, Festgefahrene.
    Womöglich ging der erste Eindruck nicht gänzlich in die Irre. Ein wenig unbehaglich, lustlos scheint sich die Abgebildete
     durchaus zu fühlen. Nur war die Ursache dafür nicht gut bestimmt, zu oberflächlich. Es ist nicht die Situation des Abgebildetwerdens,
     die das Unbehagen auslöst. Die Frau hat keine Scheu davor. Alles in dem Bild unterstreicht ihren subjektiven Anspruch auf
     öffentliche Wahrnehmung. Was ihr Sorge bereitet, ist das Mißverständnis, als Person völlig mit der sozialen Rolle identifiziert
     zu werden, die sie darstellt. Nicht Mißmut – MISSTRAUEN ist das angemessene Wort. Mißtrauen sich selbst gegenüber; Zweifel,
     ob es ihr gelang, den Abstand zwischen Person und Rolle unübersehbar genug zu gestalten; Mißtrauen gegenüber dem Betrachter,
     seiner Fähigkeit, aus der Haltung herauszulesen, was in sie hineingelegt wurde; Mißtrauen wohl auch gegenüber dem Photographen,
     seiner Geistesgegenwart, den Moment der höchsten Sichtbarkeit der Botschaft einzufangen.
    Mimik, Gestik, Körpersprache – in jeder Hinsicht inszeniert sich die Köchin (folgen wir ruhig der Bildunterschrift) als eine
     Person mit Erwartungen an ihr Leben, die über das hinausgehen, was sie augenblicklich vorführt. Ein feiner Zug von Ironie
     spricht aus dem Abbild, innere Erhabenheit über sozialen Stand, Funktion und Stelle. Die Abgebildete agiert wie ein idealer
     Brechtscher
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