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Buerger, ohne Arbeit

Titel: Buerger, ohne Arbeit
Autoren: Wolfgang Engler
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Enttäuschungen, unbeabsichtigte Kränkungen gleich am Anfang zu vermeiden,
     für die Frage nach dem »Sein« der anderen bald neue Konventionen finden, finden müssen. Noch ist es nicht soweit. Noch behauptet
     sich der Beruf als Grundform der sozialen Charakterisierung eines Menschen ziemlich unangefochten, den wachsenden Ausnahmen
     von der Regel zum Trotz. – Dennoch unterscheidet sich der Beruf heute in vielem vom Beruf schon unserer Großeltern. Mag die
     Berufsbezeichnung über die Jahrzehnte hinweg unverändert geblieben sein, die BerufsBILDER, mithin die konkreten Anforderungen
     an die Arbeit wandelten sich im Verlauf dieser Zeit oftmals fundamental, und selbst wenn die Veränderungen weniger einschneidend
     waren, gab es für die jeweils später in denselben Beruf Eintretenden an Neuem immer noch genug zu lernen. Manche jener Berufe,
     die man vor sechzig Jahren wählte, sind verschwunden oder in anderen aufgegangen; viele der heute geläufigen Professionen
     existierten damals entweder noch gar nicht oder nicht in dieser Form. Möglicherweise noch gravierender sind die Veränderungen,
     die das subjektive VERHÄLTNIS zum Beruf betreffen, die EINSTELLUNG zur Arbeit. Hier kommt wieder die Köchin ins Spiel; nur
     dient sie diesmal selbst als Kontrast.
    4. Das Entscheidende hat sie uns in dieser Eigenschaft schon mitgeteilt: Sie geht nicht restlos auf in ihrer Arbeit. Die demonstrative
     Art, in der sie den Abstand zwischen Person und sozialer Rolle markiert, erklärt sich unmittelbar aus den Verhältnissen der
     Zeit. Aus der Weltgeschichte ohne Umschweife in den Alltag zurückzufinden, die erhebenden Gefühle einer umstürzenden Tat gegen
     »Kleinkram« und Routine einzutauschen fällt naturgemäß nicht leicht. Man hat sich selbst übertroffen, überrascht, bewiesen,
     wozu man fähig ist – nun soll es weitergehen wie bisher? Kann die Arbeit das große Versprechen erfüllen, daß man sich und
     anderen soeben gab? Die Frau hat politisch |18| etwas »angerichtet«, die Köchin bereitet nur die nächste Mahlzeit zu; daher das Trotzige im Blick, der Widerwille gegen Schematismus
     und Gewohnheit.
    Aber das ist nicht alles. Die Zeitumstände schraffieren gleichsam das Unbehagen am beruflichen Alltag, erzeugen es indessen
     nicht. Arbeit und Beruf sehen sich heute mit subjektiven Ansprüchen konfrontiert, die noch vor wenigen Jahrzehnten gehobenen
     Professionen vorbehalten waren. Die Arbeit soll den Menschen befriedigen, seine Fähigkeiten herausfordern und entwickeln,
     seine Eigenart zur Geltung kommen lassen. Arbeit soll nicht beliebige Verrichtung eines Individuums, sondern SEINE Arbeit
     sein. Damit der Mensch in der Arbeit »aufgehen« kann, muß die Arbeit wenn schon nicht IM Menschen, dann doch FÜR ihn aufgehen,
     Sinn stiften. Sachbindung und Sachverhaftung allein tragen kein zeitgemäßes Verhältnis zum Beruf. Das Verlangen nach Authentizität
     hat auf die Arbeitswelt übergegriffen, sich in ihr ausgebreitet; das mag man wie Richard Sennett beklagen 1 oder wie Charles Taylor schlicht als Grundzug unserer Kultur ansehen 2 .
    5. Der Beruf als sozialer Stand, als kollektives Gut, als eine Art Legat, dessen der einzelne sich würdig erweisen muß und
     würdig erweist, indem er sich als Glied in einer langen Kette, als Teil eines umfassenderen Ganzen aufführt, eingebettet in
     verbindliche Traditionen, Praktiken, Ehrbegriffe – das war die Welt, die August Sander festhielt, vielleicht zum letzten Mal.
     Sein Konditormeister aus dem Jahr 1928 liefert einen klassischen Ausdruck des noch organischen Berufsverständnisses. Daß der
     Photograph die Person im vertrauten Dekor ihrer gewohnheitsmäßigen Beschäftigung zeigt, auf die Situation verfremdende Kunstgriffe
     verzichtet, untermauert die Aussage: Dieser Mann ist eins mit seiner Arbeit, er repräsentiert seinen Beruf für seine Zeitgenossen
     wie für seine Nachwelt; SO soll ein Konditormeister sein. Sein Habitus ist durchwirkt von einer ehrwürdigen Vorgeschichte,
     in deren Abglanz er sich sichtlich |19| sonnt, und die innere Zufriedenheit, mit der er sein Handwerk vorführt, gibt sich gefaßt, zurückgenommen, als wäre sie in
     Stolz und Würde eingerahmt; kein Hauch von Ironie liegt auf dem Bild. Person und Rolle sind noch ungeschieden; die Person
     geht in der Rolle auf, die Rolle füllt und erfüllt die Person; ohne das Gefühl, sich zu verleugnen, hüllt sich das Individuum
     in Konventionen und ritualisierte Gesten ein. – Nicht
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