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Buerger, ohne Arbeit

Titel: Buerger, ohne Arbeit
Autoren: Wolfgang Engler
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rätselhaft-vertrauten Ebene
     wie die nach dem Menschen oder nach der Zeit. Man weiß die Antwort, solange man nicht ausdrücklich gefragt wird; wird man
     gefragt, weiß man sie nicht. Der Beantwortung weit zugänglicher ist die Frage, was Menschen in verschiedenen Epochen jeweils
     »Arbeit« nannten, wie sie darüber dachten und urteilten, welchen Rang sie denen zuwiesen, die Arbeit verrichteten; die historische
     Frage also anstatt der Wesensfrage. Die Literatur darüber ist so unerschöpflich wie der Gegenstand selbst; ein Referat verbietet
     sich allein aus Platz- und im speziellen aus Interessegründen. Die Perspektive würde durch die Last des Materials erdrückt,
     flach wie ein Bürgersteig. Lohnend in der Sache wie für uns, die wir nach Überblick verlangen, erscheint ein geschichtlicher
     Aufriß, der die hauptsächlichen Stationen und markanten Wandlungen des Arbeitsverständnisses aus dem geschichtlichen Strom
     heraushebt. Erst wenn der Begriff der Arbeit durch diese historische Bemühung geschärft ist, können wir mit einiger Bestimmtheit
     sagen, nicht, was Arbeit »ist«, wohl aber, was sie uns bedeutet, noch immer oder eigentümlich, und ob wir, alles in allem
     genommen, zu der Aussage berechtigt sind, daß Arbeit im Sinne dieses, unseres kulturellen Selbstverständnisses unwiderruflich
     an Bedeutung verliert, daß wir den Horizont der Arbeitsgesellschaft überschreiten oder schon überschritten haben.
    3. Die folgenden Erkundungen sammeln Bausteine für eine Phänomenologie der Arbeit; was Arbeit »an sich«, unabhängig |23| und getrennt vom dem sein kann oder soll, was Menschen kulturell mit ihr verbinden, liegt jenseits ihres Gesichtskreises,
     jenseits sinnvoller theoretischer Problematisierung überhaupt. Das vermeintliche »Sein der Arbeit«, ihr zeitloses Wesen werden
     sich bei eingehender Prüfung stets als ärmliche Abstraktion entpuppen, als Produkt einer allzu eiligen Soziologie, die einige
     mehr oder weniger zufällige Bestimmungen aus dem Bestimmungskranz herausgreift und mit der angemaßten Kompetenz eines Gesetzgebers
     zum Eigentlichen stilisiert. So erhaben sich solch geistige Hohlformen über die Wirklichkeit dünken, so regelmäßig verstricken
     sie sich in dieselbe oder werden in sie verstrickt, begegnet man ihnen dort, wo es am seichtesten zugeht, inmitten interessen-,
     ja oft genug tagespolitischer Rangeleien.
    Der Diskurs über Arbeit ist umstritten 7 und dieser Streit selbst Teil umfassenderer Auseinandersetzungen, in denen Arbeit als Praxis unter anderen Praxisformen erscheint,
     die mit- und gegeneinander um Rang und Anerkennung ringen. In diesem Kampf ist jede geistige Handreichung willkommen, und
     bequemt sich eine Theorie zum Handlanger oder läßt sie sich dazu bequemen, hat sie ihre Autonomie verwirkt und ihren Zweck
     verfehlt. Statt Reflexionsform der Praxis zu sein, wird sie zu deren Kommis. Ob sie in diese mißliche Lage dadurch gerät,
     daß sie die Arbeit vergöttert oder verteufelt, jegliche Aktivität zur Arbeit erklärt oder Arbeit umgekehrt den Passiva der
     menschlichen Existenz zuschlägt, ist demgegenüber schon fast belanglos. Der Theoretiker handelt, indem er denkt, und wenn
     aus seinem Denken praktisch etwas »folgt«, dann ist es Abstand von der Praxis, Übersicht statt Ansicht.
    4. »Krise, Ende der Arbeitsgesellschaft – was kommt danach?« Die Frage so zu stellen (und so wird sie heute oft gestellt)
     heißt, allzuforsch zu Werke zu gehen, vorauszusetzen, was herauszufinden ist. Das Fragezeichen gehört vor den Gedankenstrich.
     »IST die Arbeitsgesellschaft am Ende, ihr Zustand wirklich kritisch?« »Woran zeigt sich das |24| für alle nachvollziehbar?« »Kann es einen neutralen Maßstab zur Beantwortung dieser Frage überhaupt geben?« Das Problem in
     dieser Weise aufzuwerfen bedeutet, dem Verdacht Gehör zu schenken. Könnte es nicht sein, daß all jene, die vom Ende oder von
     der finalen Krise der Arbeitsgesellschaft reden, mit einem Arbeitsbegriff operieren, der unzulässig verabsolutiert, was »Arbeit«
     in einem kleinen Teil der Welt während einer kurzen geschichtlichen Zeitspanne bedeutete: sichere, auskömmliche Beschäftigung,
     die annähernd jeder und jedem ein eigenes Leben ermöglichte? Legt man diesen exklusiven Maßstab an, wird Arbeit rar und kostbar
     wie Wasser in der Wüste. Aber schließt der Begriff der Arbeit zwingend den des gut gegründeten Lebens ein, verwechselt, wer
     so denkt, nicht Ausnahme und
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