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0295 - Tal der vergessenen Toten

0295 - Tal der vergessenen Toten

Titel: 0295 - Tal der vergessenen Toten
Autoren: Jason Dark
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»Komm mal rüber, Gerd!« rief Karl Wiesner seinem siebzehnjährigen Sohn zu.
    »Was soll ich denn?« fragte Gerd, während er neben seinem Moped hockte und die Speichen des Hinterrades putzte.
    »Mir eben helfen, die Briketts zu stapeln.«
    »Ach du Scheiße.«
    Karl Wiesner lief rot an. »Wieder keinen Bock, wie?«
    »Genau.«
    Wiesner stemmte die Arme in die Hüften. Allmählich wurde er wütend.
    Wenn er einmal den Punkt erreicht hatte, wo er sich nicht mehr ärgern ließ, dann drehte er bald durch. Und das wußte Gerd. Er war zwar selbst kräftig, doch gegen seinen Vater kam er nicht an. Der arbeitete lange genug im Bergbau, da wurden die Kräfte konserviert und noch gestärkt.
    Wenn der Alte einmal zulangte, flog Gerd bis in die Eifel.
    Karl Wiesner war 43, hatte dunkles Haar, breite Schultern und einen buschigen Schnauzbart. Die Arme waren kräftig, die Hände, mit denen er zupacken konnte wie nur wenige, groß wie Bratpfannen.
    Gerd hatte keine Lust, sich mit seinem Alten zu streiten. Zudem war Samstag, da wollte er noch in die Disco, und mit seinem Geld sah es ziemlich mager aus. Er hatte vor, dem Vater noch einen Zwanziger abzuknöpfen, deshalb tat er lieber das, was der alte Herr von ihm wünschte. »Soll ich sofort kommen?«
    »Denkste erst morgen?«
    »Ich wollte meine Maschine…«
    »Die hat Zeit, die Kohlen nicht. Ich muß nachher noch im Keller eine Leitung reparieren.«
    »Weil du es bist.« Gerd schlenderte näher. Er war ein schlaksiger Bursche. Das dunkelbraune Haar trug er im Nacken lang, aber hinter die Ohren gekämmt. Im Gesicht ähnelte er sehr seiner Mutter. Manche Mädchen sagten, daß sein Gesicht zu weich wäre.
    Andere wiederum mochten es. Die Wiesners wohnten in einem alten Bergarbeiterhaus. Es stand schon über dreißig Jahre und hatte einen Anbau, der früher mal als Stall gedient hatte. Die Wiesners hatten ihn umgebaut. Jetzt gab es dort ein Bad und einen Kohlenkeller. Eine Tür führte vom Kohlenkeller nach draußen. Die Briketts sollten an der Rückwand des Anbaus aufgestapelt werden. Regelmäßig mußte Gerd raus und Briketts holen. Das gehörte zu seinen Aufgaben.
    »Fang an«, sagte Karl Wiesner und bückte sich. Er spie in seine kräftigen Hände und nahm die ersten beiden Briketts auf. »Du beginnst an der linken Seite.«
    »Okay.«
    Es war Samstag. Ein herrlicher Tag im November. Schon seit Tagen lag Sonnenschein über Deutschland. Wenn sich die Morgennebel aufgelöst hatten, war wunderbares Herbstwetter. Ruhig und ohne Sturm. Die Bäume zeigten ein buntes Blattwerk. Und im Schein der Sonne glänzten besonders die Blätter der hohen, schlanken Birken wie goldene Täler. So ein Baum stand vor dem Haus der Wiesners. Er überragte das Dach des einstöckigen Gebäudes bei weitem.
    »Beeil dich mal!« maulte Karl, als er sah, daß sein Sohn nicht gerade schnell war.
    »Das ist auch eine blöde Arbeit.«
    »Arbeit ist gut.« Karl lachte. »Sei froh, daß du arbeiten kannst. Viele in deinem Alter hängen auf der Straße.«
    »Die Schufterei im Bergbau ist auch nicht gerade das Wahre.«
    »Aber sicher.«
    »Was ist denn heute schon sicher? Elektriker in der Grube. Irgendwann entlassen sie mich.«
    »Erstens bist du Lehrling, und wenn sie dich wirklich entlassen sollen, mußt du schon silberne Löffel klauen oder so schlecht sein, daß du nicht tragbar bist.«
    »Am Wochenende habe ich keinen Bock auf Arbeit. Sie wird ja nicht bezahlt.«
    Karl Wiesner hielt für einen Moment inne. »Was soll das denn heißen, willst du etwa Geld?«
    Der siebzehnjährige Junge nickte. »Wenn du so direkt fragst, dann kann ich es nicht abstreiten. Ein Zwanziger würde mir am heutigen Abend schon reichen.«
    »Verdienst du nicht selbst?«
    »Das ist doch nichts. Außerdem gibt es erst in der nächsten Woche wieder Scheine. Bis dahin ist es noch lang. In der Disco ist heute wieder der Bär los. Da will ich mitmischen. Ich habe es den anderen versprochen.«
    Karl Wiesner schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er. »Du bekommst von mir nichts.«
    »Und weshalb nicht?«
    »Weil du lernen sollst, mit deinem Geld umzugehen. Wir hatten früher viel weniger und mußten auch auskommen. Ich hatte keinen Vater, der mir Geld gab.«
    »Ja, früher. Da war eben alles anders.«
    »Warte noch eine Woche, dann bekommst du deinen Lohn.« Wiesner lachte und machte weiter. Er nahm die gepreßten Kohlestücke in beide Hände und legte sie hin.
    Gerd war sauer. Er stand gebückt da und dachte darüber nach, ob alles noch Sinn
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