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Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten

Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten

Titel: Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten
Autoren: Sara Gruen
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Prolog
    Es befanden sich nur noch drei Menschen unter der
rot-weißen Markise des Hamburgerstands: Grady, ich und der Schnellkoch. Grady
und ich saßen an einem abgenutzten Holztisch, jeder mit einem Hamburger auf
einem verbeulten Blechtablett vor sich. Der Koch kratzte hinter der Theke mit
der Ecke seines Pfannenwenders das Blech sauber. Die Friteuse hatte er längst
ausgestellt, aber der Fettgeruch hing noch in der Luft.
    Der Rest der eben noch überfüllten Budengasse war leer bis auf eine
Handvoll Angestellter und ein paar Männer, die darauf warteten, zum Muschizelt
gebracht zu werden. Sie sahen sich nervös um, die Hüte tief ins Gesicht gezogen
und die Hände in den Taschen vergraben. Sie würden nicht enttäuscht werden:Weiter hinten erwartete sie Barbara mit ihren üppigen Reizen.
    Die anderen Städter – Onkel Al nannte sie Gadjos – hatten sich
bereits einen Weg durch die Menagerie ins Chapiteau gebahnt, das im Rhythmus
der frenetischen Musik zu pulsieren schien. Das Orchester peitschte wie üblich
ohrenbetäubend laut durch sein Repertoire. Den Ablauf kannte ich auswendig –
gerade jetzt zogen die Letzten der Parade aus der Manege, und Lottie, die Seiltänzerin,
erklomm ihre Leiter.
    Ich starrte Grady an und versuchte zu begreifen, was er da sagte. Er
schaute sich um, dann beugte er sich zu mir vor.
    »Außerdem«, flüsterte er und blickte mir in die Augen, »kommt es mir
so vor, als hättest du gerade ’ne Menge zu verlieren.« Er hob die Augenbrauen,
um seiner Aussage Nachdruck zu verleihen. Mein Herz setzte einen Schlag aus.
    Im Zelt brandete tosender Applaus auf, und das Orchester wechselte
nahtlos zum Gounod-Walzer. Ich drehte mich unwillkürlich nach der Menagerie um,
denn der Walzer gab den Einsatz für die Elefantennummer. Marlena stieg entweder
gerade auf oder saß bereits auf Rosies Kopf.
    »Ich muss los«, sagte ich.
    »Setz dich«, antwortete Grady. »Iss. Wenn du dich aus dem Staub
machen willst, bekommst du vielleicht eine ganze Weile lang nichts mehr zu
beißen.«
    In diesem Augenblick brach die Musik mit einem Kreischen ab. Die
Blasinstrumente und das Schlagzeug rasselten scheußlich zusammen – die
Trompeten und Piccoloflöten schlitterten in ein Katzengeheule, eine Tuba
rülpste, und das hohle Klirren eines Beckens waberte durch das Chapiteau über
unsere Köpfe hinweg und verlor sich.
    Grady erstarrte, über seinen Burger gebeugt, mit aufgerissenem Mund
und abgespreizten kleinen Fingern.
    Ich sah mich nach allen Seiten um. Niemand rührte sich – alle Blicke
hingen am Chapiteau. Ein paar Büschel Stroh taumelten träge über die harte
Erde.
    »Was ist los? Was ist passiert?«, fragte ich.
    »Psst«, zischte Grady.
    Das Orchester spielte jetzt »Stars and Stripes Forever«.
    »O Gott. Verdammter Mist!« Grady warf seinen Hamburger auf den Tisch
und sprang so hastig auf, dass die Bank umfiel.
    »Was? Was ist los?«, schrie ich, denn er war bereits losgerannt.
    »Der Katastrophenmarsch!«, rief er mir über die Schulter zu.
    Ich wirbelte herum zum Koch, der eben seine Schürzenbänder aufriss.
»Wovon zum Teufel redet er?«
    »Vom Katastrophenmarsch«, sagte er und zerrte sich mühsam die
Schürze über den Kopf. »Das heißt, es ist was Schlimmes passiert – was echt
Schlimmes.«
    »Was denn?«
    »Könnte alles Mögliche sein – ein Feuer im Chapiteau, eine Stampede,
irgendwas. Gottverdammt. Die armen Gadjos haben wahrscheinlich noch keinen
Schimmer.« Er bückte sich unter der Klapptür hindurch und lief los.
    Chaos – Süßwarenverkäufer hechteten über Theken, Arbeiter taumelten
hinter Zelttüren hervor, Racklos rannten quer über den Platz: Wer auch immer
etwas mit Benzinis Spektakulärster Show der Welt zu
tun hatte, raste auf das Chapiteau zu.
    Diamond Joe überholte mich in einer Art vollem Galopp.
    »Jacob – die Menagerie«, rief er. »Die Tiere sind los. Schnell,
beeil dich!«
    Das musste er mir nicht zweimal sagen. Marlena war in dem Zelt.
    Als ich näher kam, spürte ich ein Grollen, das mir eine Heidenangst
einjagte, denn es war tiefer als Lärm. Der Boden vibrierte.
    Ich taumelte hinein und stand vor einem Yak – einer Wand aus
gelocktem Fell mit stampfenden Hufen, roten, geblähten Nüstern und verdrehten
Augen. Es galoppierte so nah an mir vorbei, dass ich mich nach hinten warf und
gegen die Zeltwand drückte, um nicht von den gekrümmten Hörnern aufgespießt zu
werden. An seine Schulter klammerte sich eine verängstigte Hyäne.
    Der Verkaufsstand in der
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