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Die Rebellen von Irland

Die Rebellen von Irland

Titel: Die Rebellen von Irland
Autoren: Edward Rutherfurd
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PLANTATION
* 1597 *
    Doktor Simeon Pincher war auf Irland ausgezeichnet vorbereitet. Der große, hagere Mann, dessen strenge, schwarze Augen sein blasses Gesicht noch fahler erscheinen ließen, war erst Ende Zwanzig, wurde aber bereits kahl. Er war wie geschaffen dafür, von einer Kanzel zu predigen. Pinchers Bildung war umfassend: Er hatte am Emmanuel College in Oxford studiert, wo er nun auch erfolgreich lehrte. Als man ihm jedoch eine Position im neu gegründeten Trinity College in Dublin anbot, akzeptierte er sie umgehend. Und zwar mit einem Eifer, der seine neuen Gastgeber erstaunte.
    »Ich werde sofort kommen, um Gottes Werk zu tun«, hatte er ihnen geschrieben. Und gegen diese Antwort ließ sich nun wirklich nichts einwenden.
    Es war aber nicht allein rein missionarischer Eifer, der ihn nach Irland trieb. Schon vor seiner Abreise hatte Simeon Pincher sich ausführlich über die Einheimischen kundig gemacht. Er wusste beispielsweise, dass die »wilden Iren«, wie man die ursprünglichen Einwohner Irlands in England inzwischen nannte, primitiver als Tiere lebten, und dass man ihnen nicht trauen durfte. Denn sie waren Katholiken.
    Der Gelehrte brachte allerdings noch eine andere Voraussetzung mit, die ihn für ein Leben in Irland hervorragend qualifizierte. Er glaubte fest daran, dass die Iren ein minderwertiges Volk waren, das Gott – neben anderen Völkern natürlich – seit Anbeginn der Zeit dazu verdammt hatte, im ewigen Höllenfeuer zu schmoren. Doktor Simeon Pincher war nämlich Calvinist.
    Um zu begreifen, wie der Doktor die schwierige Lehre des großen protestantischen Reformators deutete, musste man sich nur eine seiner Predigten anhören. Bereits in jungen Jahren galt er als mitreißender Kanzelredner, der für seine drastischen Worte gerühmt wurde.
    »Die Logik des Herrn«, verkündete er gern, »ist genau so vollkommen wie seine Liebe. Und weil Gott uns in seiner unendlichen Güte die Gabe der Vernunft geschenkt hat, dürfen wir seine Ziele erkennen.« Doktor Pincher lehnte sich an diesem Punkt meist leicht nach vorn, um sich der Aufmerksamkeit seiner Zuhörer zu versichern, und erklärte dann:
    »Bedenket dies: Es ist unbestreitbar, dass Gott, der Quell allen Wissens, in seiner unendlichen Weisheit von allem Kenntnis hat. Von der Vergangenheit, der Gegenwart und all dem, was kommen wird. Und daher ist gewiss, dass er ganz genau weiß, wer am Tage des Jüngsten Gerichts gerettet werden soll, und wer in die tiefsten Tiefen der Hölle gestoßen wird. Er hat alles von Anfang an vorbestimmt. Obwohl er uns in seiner Barmherzigkeit unser Schicksal nicht offenbart hat, sind einige für den Himmel auserwählt, und andere für die Hölle bestimmt. Diejenigen, die dazu bestimmt sind, errettet zu werden, nennen wir die Auserwählten. Alle anderen, die bereits von Anbeginn der Zeit an verdammt waren, werden untergehen.« Er fixierte seine Zuhörer mit grimmigem Blick und donnerte: »Und darum sollt ihr euch stets fragen: Was erwartet mich?«
    Johannes Calvins Prädestinationslehre war in ihrer unerbittlichen Logik nur schwer zu widerlegen. Es stand außer Zweifel, dass Calvin ein tief religiöser und wohlmeinender Mann gewesen war. Seine Anhänger strebten danach, sich der Liebe zu weihen, die in den Evangelien gelehrt wurde, und ein ehrliches, arbeitsames und wohltätiges Leben zu leben. Aber für Calvins Kritiker barg seine Form der Religion auch Risiken, denn ihre praktische Ausübung verlangte unverhältnismäßige Strenge. Calvin war von Frankreich in die Schweiz ausgewandert und hatte 1541 seine Kirche in Genf eingerichtet. Die Kirchenordnung, nach der seine Gemeinde lebte, war strenger als die der Lutheraner, und Calvin forderte, dass der Staat ihre Einhaltung durch Gesetze erzwingen sollte. Die Gemeindemitglieder, die sich diesem strikten moralischen Regime unterworfen hatten – und jeden Nachbarn bei den Behörden denunzierten, falls er sein Leben nicht ganz nach Gottes Gesetz ausrichtete –, strebten nicht nur danach, einen Platz im Himmel zu erlangen. Sie wollten auch auf Erden sich selbst und der Welt beweisen, dass sie tatsächlich zu jenen prädestinierten Erwählten gehörten, die ohnehin bereits dazu bestimmt waren, das Paradies zu schauen.
    Bald waren auch in anderen Teilen Europas calvinistische Gemeinden entstanden. Schon die schottischen Presbyterianer waren dafür berüchtigt, dass sie sich streng und einigermaßen freudlos an die Prädestinationslehre hielten, aber die anglikanische
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