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Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin

Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin

Titel: Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin
Autoren: Kester Schlenz
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eine Art rituelle Vereinigung, eine groteske Kopie des menschlichen Schöpfungsaktes.«
    »Aber da war niemand anderes damals am Felsen?« rief ich.
    »Woher weißt du das, Ludmilla? Ich habe seinerzeit genau zugehört. Weißt du denn nicht mehr, wie oft ich dich nach deiner Erschaffung gefragt habe? Deine bewu sste Erinnerung reicht nur bis zu dem Moment zurück, als du mit Var im Auto saßest. Was danach geschah, erinnerst du nicht mehr bewusst.«
    Ich nickte und schwieg.
    Gregor fuhr fort.
    »Das Ritual ist im Grunde ganz einfach. Er nahm das Schriftstück und las den Text vor:
    Trinket das Blut
    Wenn der Mond rund ist,
    An todgeweihtem, magischen Ort Wo die alten Dinge liegen.
    Lass t es fließen
    Durch zwei unserer Leiber
    Und nähret das Neue von Euch,
    L asst wachsen aus dunklen Tiefen.
    Mit Eurem Blut die alte Macht
    Zu neuem Leben.
    Nähret das Neue von Euch und gebäret!
    »Und das ist alles?« fragte Pia ungläubig. »Mehr nicht?« »Das ist es. Bei Vollmond müssen an einem bestimmten
    magischen Ort zwei Vampire vom Blut ihres Opfers trinken, es mit ihrem vermischen und dann ihr Opfer von sich trinken lassen. Das ist das Ritual. Das macht Menschen zu Vampiren.«
    »Aber es heißt doch, dass allein die Oberin weiß, wie man neues Leben erschafft«, warf ich ein. »Was ist mit der zweiten Vampirin?«
    »Ganz einfach. Die Oberin verpflichtet sie zum Schweigen. Andernfalls droht ihr der Tod. Die Oberin ist immer die Älteste und Stärkste des Ordens. Sie herrscht durch ihre physische und psychische Macht. Außerdem ist die zweite Erschafferin stets die vorgesehene Nachfolgerin der Oberin. Vampire haben viel Zeit. Sollte die Oberin durch irgendein Ereignis überraschend zu Tode kommen, kennt ihre Nachfolgerin bereits das Geheimnis und weiht eine weitere ein. So wird das Ritual von einer Führerin zur an deren weitergegeben.«
    »Aber Professor, selbst wenn ich es tun wollte, kennen wir diesen Ort nicht. Wir wissen, dass mehrere davon existieren, aber wir kennen sie nicht.«
    »Du mu sst versuchen, dich zu erinnern«, sagte Gregor und legte seine Hand auf meine Schulter. Ich erschauerte unter seiner Berührung.
    »Die Ereignisse zwingen uns zur Eile«, fuhr er fort. »Michael liegt im Sterben. Linda ist in Lebensgefahr. Versuch dich zu erinnern.«
    Pia sprang auf.
    »Ludmilla, von was für einem Felsen hast du eben gesprochen?«
    Ich sah sie fragend an.
    »Du hast gesagt, da ss da kein zweiter Vampir gewesen sei,
    damals am Felsen.«
    »Habe ich das gesagt?«
    Mein Kopf wurde schwer. Irgend etwas verhinderte, da ss ich einen klaren Gedanken fassen konnte.
    »Ich weiß nicht. Nein. Ich erinnere den Wald, die Autofahrt. Die Dunkelheit. Sonst ist da nichts.«
    Gregor stand auf und kniete sich vor mich.
    »Ludmilla, ich spüre es. Du weißt es. Sieh mich an.« Ich sah in sein altes Gesicht. In seine Augen, seine uralten, untoten Augen, in denen das Feuer einer unheimlichen übersinnlichen Macht loderte.
    »Entspann dich«, sagte er und wartete einen Moment.
    »La ss es zu, erinnere dich. Lass dich fallen.« Seine Stimme umhüllte mich wie eine warme Decke. Ich verlor mich in der Tiefe seiner Augen und tauchte ein in den sanften Nebel der Hypnose.
    Und ich erinnerte mich! An Var, die mich zu dem Felsen trug, der wie ein gewaltiges V in den Himmel ragte. Und Dinah, die dort lächelnd stand und wartete. Da war ein sonderbares, blaues Licht. Ein Schmerz. Ich erinnerte mich, wie das Leben aus mir rann und mir neues, ungleich mächtigeres verliehen wurde.
    Wie aus weiter Ferne hörte ich Gregors Stimme, die mir befahl zu erzählen, was ich sah. Und ich sprach und ich weinte, weil ich noch einmal miterlebte, wie zwei übernatürliche, böse Wesen mich zu einem der ihren machten.
    Schließlich befahl Gregors Stimme mir, zu erwachen. Ich blickte eine Zeitlang orientierungslos im Gewölbe umher. Blutige Tränen hatten mein Gesicht und meine Kleidung besudelt.
    Pia hielt meine Hand.
    »Und?« fragte ich. »Habe ich etwas gesagt, das uns helfen könnte?«
    »Allerdings«, antwortete Gregor. »Du hast von einem Felsen erzählt. Ein Felsen mit einer charakteristischen Form. Wie ein großes V. Mitten in einem Wald. Und das, Ludmilla, kann sich nur um den berühmten Felsen des Vlad handeln. Eine geologisch bizarre Formation etwa hundert Kilometer von hier. Ein beliebtes Ausflugsziel, obwohl der Felsen selbst nicht betreten werden darf, weil dort seltene Pflanzen und Tiere heimisch sind. Das ist er, unser geheimer Ort.«
    Gregor
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