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Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin

Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin

Titel: Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin
Autoren: Kester Schlenz
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1 - TÖTEN
    Das kalte Licht des Mondes beleuchtete die Straße. Hinter mir nur eine Mauer. Sie waren zu dritt und kamen mit langsamen Schritten auf mich zu. Niemand sonst war zu sehen. Raub, Mord und Vergewaltigung gingen auf ihr Konto. Manchmal ließen sie ihre Opfer am Leben, manchmal nicht. Je nach Laune. Ich hatte auf sie gewartet. Bei dieser Sorte Mensch habe ich hinterher nicht so ein schlechtes Gewissen. Der erste, ein muskulöser, drahtiger Typ mit schwarzem Haar, stellte sich dicht vor mich und schnalzte mit der Zunge. Sein Atem stank nach Bier und Zigaretten. »Nicky ist jetzt lieb zu dir«, raunte er und gab mir einen Stoß. Ich ließ es zu, dass ich ein paar Meter zurücktorkelte, ging dann wieder auf den Mann zu und sagte mit leiser Stimme: »Du bist ja ein ganz Mutiger, Nicky. Drei Männer gegen eine Frau. Da muss ich jetzt wohl ganz viel Angst haben.«
    Für einen kurzen Augenblick sah er mich bestürzt an. Er hatte Furcht, Flehen und Weinen erwartet, aber keine Ironie. Sein Blick glitt hektisch an mir herunter. Wo war meine Waffe? Wer in einer solchen Situation so viel Frechheit besaß, musste einfach eine Waffe haben. Doch meine Arme hingen mit geöffneten Händen locker herunter. Ein tückisches Lächeln erhellte sein Gesicht. Er holte weit aus und schlug mir mit dem Handrücken ins Gesicht. Es war ein harter Schlag. Der Schmerz machte mich wütend. Sehr wütend. Ich wollte eigentlich ein bisschen mit Nicky und Co. spielen, aber jetzt hatte ich auf einmal genug. Den Oberkörper nach vorn gebeugt, stand ich da und wartete. Als er meinen Kopf an den Haaren packte, um mich zu sich heranzuziehen, schoss meine Hand nach vorn. Er kam gerade noch dazu, seine Augen entsetzt aufzureißen, dann brach ich ihm mit einem trockenen Knacken das Genick. So schnell, dass die anderen es noch nicht einmal mitbekamen. Bis die anderen beiden begriffen hatten, dass etwas Unerwartetes geschehen war, stand ich schon hinter ihnen. Sterbliche sind so langsam. Den ersten schleuderte ich mit einer einzigen Armbewegung gegen eine Wand. Er prallte dumpf auf und blieb reglos liegen. Der letzte der drei stand jetzt wimmernd vor mir. Ich hatte Verständnis für seine Furcht. Ich wusste, wie ich aussah. Die kalten blauen Augen mit den seltsamen Pupillen. Die bleiche Haut. Die kleinen spitzen Zähne, weiß leuchtend hinter der zurückgezogenen Oberlippe. Ich hielt ihn fest. Er hatte keine Chance und war starr vor Angst. Wie oft hatten ihn seine eigenen Opfer so angesehen? Hilflos, zitternd, den Tod vor Augen?
    Mit einem schnellen Schnitt meines Daumennagels öffnete ich seine Halsschlagader und trank sein Blut. Ich trank es, wie ein durstiger Sterblicher ein Glas kalte Limonade trinkt. Schnell und gierig. Sein Blut berauschte mich. Wie flüssiges Feuer rann es durch meine Kehle in meinen untoten Körper und gab mir Kraft. Noch mehr Kraft. Und Befriedigung. Als ich seinen toten Körper auf die Straße fallen ließ, fühlte ich, wie all meine Sinne explodierten. Ich warf meinen Kopf in den Nacken und sah das Funkeln der Sterne wie ein Feuerwerk. Ich sah jede Mauerritze mit ungeheurer Deutlichkeit, hörte jedes Geräusch in kilometerweiter Entfernung, sobald ich meine Aufmerksamkeit darauf richtete. Ich spürte die Ratten hinter einem Müllcontainer, ihre hektischen Herzschläge und ihre Angst vor dem fremden, unheimlichen Wesen da draußen. Ihre Angst vor mir. Ich erschauerte. Was für ein Gefühl! Ich ließ das Tier in mir triumphieren.
    Schließlich hatte ich mich wieder in der Gewalt. Ich blickte mit unbewegtem Gesicht auf das Gemetzel vor mir. Drei Leichen auf der schmutzigen Straße. Opfer eines Wahnsinnigen. So würde es morgen in der Zeitung stehen. Ich empfand kein Bedauern, nur eine gewisse Form der Ernüchterung. Eilig verließ ich den Ort des Geschehens. Ich kann mich für kurze Zeit so schnell bewegen, dass das menschliche Auge nur ein verschwommenes Etwas registriert. Eine meiner unschätzbaren Fähigkeiten als Vampir.
    Ich lief durch die leeren Straßen. Es war die Zeit, in der der Schlaf der Menschen am tiefsten ist. Ich konnte sie hinter ihren Mauern spüren, hörte ihren Atem, roch ihre Leiber. Und ihr Blut. Kraftvoll und mächtig pumpten es fleißige Herzen durch ihre sterblichen Leiber. Aber ich war satt. Ich würde lange nichts brauchen.
    Als ich in die Nähe des Rotlichtviertels kam, verlangsamte ich meinen Schritt. Neonreklamen blinkten. Musikfetzen tönten aus den Bars und Peep-Shows, gedämpft durch schwere
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