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Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin

Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin

Titel: Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin
Autoren: Kester Schlenz
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geworden, das Menschen tötete und ihr Blut trank. Menschen! Ich spürte, wie einsam ich war, sehnte mich nach Gesellschaft. Nach Gesprächen. Mir war klar, da ss ich meine Eltern, meine Freunde nie wiedersehen konnte. Nur Fremde würden nicht bemerken, wie sehr ich mich verändert hatte. Aber konnte ich Menschen überhaupt noch normal begegnen, mich unterhalten, lachen, ohne daran zu denken, dass in ihren sterblichen Körpern meine köstliche Nahrung pulsierte? Oder würde ich Wesen wie mich, andere Vampire, finden müssen, um mein Bedürfnis nach Gesellschaft zu stillen? Allerdings verspürte ich keinerlei Lust, die Frau wiederzusehen, der ich mein zweites, unmenschliches Leben zu verdanken hatte. Aber egal, was die Zukunft bringen würde: im Wald konnte und wollte ich nicht länger bleiben. Ich brauchte das Leben und vor allem die Anonymität einer großen Stadt. Der Wanderer hatte etwas Geld bei sich getragen. Es würde reichen, um mir eine Zugfahrkarte zu kaufen. Ich musste mich auf die Suche nach einem Bahnhof machen.
    Entschlossen lief ich noch in derselben Nacht los. Irgendwann mu sste dieser Wald ja einmal ein Ende haben. Es war erschreckend und faszinierend zugleich, wie schnell und behende ich mir den Weg durch die Dunkelheit bahnte. Ich spürte keinerlei Erschöpfung oder Müdigkeit. Nicht einmal mein Atem ging schneller. Ich fragte mich, wie sehr sich wohl mein Äußeres verändert haben mochte, und brannte darauf, mich in einem Spiegel zu sehen.
    Nach sechs Stunden lichtete sich der Wald. Die ersten Häuser tauchten auf. Hunde bellten, wenn ich mich näherte, um sich schließlich winselnd zu verkriechen. Es war immer noch dunkel und keine Menschenseele unterwegs. Ich lief unermüdlich weiter. Endlich spürte ich Asphalt unter meinen Füßen. Reihenhaussiedlungen prägten jetzt das Bild. Die Straßen wurden breiter. Ich blieb stehen und lauschte. Mit meinem feinen Gehör analysierte ich die verschiedenen Geräusche in der Umgebung. Autos, Gespräche, ein unspezifisches Brummen irgendwelcher Maschinen. Ich stand bewegungslos auf der Straße und konzentrierte mich auf ein bestimmtes Geräusch. Endlich konnte ich das Rattern von Rädern auf Schienen hören. Es nahm ab, Bremsen quietschten. Ein Zug hielt. Irgendwo in der Nähe musste ein Bahnhof sein. Eilig folgte ich dem Geräusch.
    Plötzlich hörte ich ein Auto hinter mir. Es überholte mich, und mit Entsetzen sah ich, da ss es ein Polizeiwagen war. Der Wagen hielt am Straßenrand. Ein schwerer Mann mittleren Alters in Uniform stieg aus. Ich spürte, dass er zwar neugierig, aber nicht aufgeregt war. Er fand es wohl lediglich merkwürdig, dass eine junge Frau nachts mitten auf der Straße herumlief. Ich registrierte, dass ich offensichtlich in der Lage war, die emotionale Befindlichkeit von Menschen zu spüren. Der Polizist kam langsam auf mich zu. Bei jedem Schritt schwang der Revolver gegen seinen mächtigen Oberschenkel. Ob eine Kugel mich wohl töten konnte?
    »Können wir Ihnen helfen, junge Dame?« sagte er mit ruhiger Stimme. Ich schwieg. »Ist irgend etwas passiert?« insistierte er weiter. »Laufen Sie vor irgendwas weg?« Jetzt stieg noch ein Uniformierter aus dem Wagen. Jünger, schlanker und mi sstrauischer, wie ich sofort spürte. Ein entscheidender Moment war gekommen. Würde ich die Rolle eines Menschen weiterspielen können? Schließlich konnte ich ja nicht jeden, dem ich begegnete, umbringen. Und außerdem wusste ich nicht, wie sehr mich die Waffen der Beamten verletzen konnten. »Oh, nein, ich laufe nicht weg«, hörte ich plötzlich meine Stimme antworten. Rauer als früher, aber unverkennbar. Ich staunte selber, wie freundlich und selbstsicher ich klang. »Sie wundern sich sicher, dass ich hier mitten in der Nacht herumlaufe…« »Ganz genau«, antwortete der jüngere Polizist und leuchtete mir mit einer Taschenlampe ins Gesicht. Ich zuckte zurück und riss meinen Arm hoch.»Was soll das, Harry?« rief der Ältere und drückte den Arm seines Kollegen herunter. »Nun lass die Frau doch erst mal was sagen.« »Danke«, sagte ich. »Also, eigentlich hatten Sie recht. Ich laufe eigentlich doch weg. Aber nicht, weil mich jemand verfolgt, sondern eher im Gegenteil, weil mich jemand verlassen hat. Mein Freund, genaugenommen. Ich bin Sportlerin, und immer wenn es mir schlechtgeht, laufe ich, bis ich nicht mehr kann.« Ich lächelte. Es war ja noch nicht einmal komplett gelogen. Peter fiel mir auf einmal ein, und ich fragte mich für einen
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