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Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin

Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin

Titel: Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin
Autoren: Kester Schlenz
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zog mich wieder an. Jetzt konnte ich mich wieder unter Leute wagen. Mein Aussehen war zwar etwas ungewöhnlich, aber zur Not würde ich als attraktive Exzentrikerin in unorthodo xer Kleidung durchgehen. Ich musste ja nicht gleich jedem Zugreisenden tief in die Augen blicken.
    Die Begegnung mit dem Schaffner zehn Minuten später war die Nagelprobe. Ich bat ihn, das Licht im Abteil auszulassen, da ich empfindliche Augen hätte. Kommentarlos nahm er mein Ticket, schritt auf den erleuchteten Gang zurück, entwertete es und gab mir die Fahrkarte mit einem flüchtigen Lächeln zurück.
    Etwa gegen sechs Uhr morgens stand ich dann im Schatten einer Litfaßsäule auf dem Bahnsteig meiner Heimatstadt und versuchte, meine Gefühle unter Kontrolle zu bringen. Ich war zu Hause und doch in der Fremde. Alles, was mir vertraut war, würde von jetzt an eine Gefahr bedeuten. Meine Familie, meine Freunde, Peter. Niemand durfte erfahren, was aus mir geworden war. Ich hatte gerade beschlossen, zu Fuß durch Seitenstraßen in meine Wohnung zu gehen, als ich plötzlich eine Hand auf meiner Schulter spürte.

5 - ZU HAUSE
    Ich zuckte zusammen, wirbelte herum und riss abwehrend meinen rechten Arm hoch. Vor mir stand der Schaffner aus dem Zug. Erstaunt blickte er mich an. »Entschuldigung«, sagte er und hob beschwichtigend die
    Hände. »Sie standen da so, als ob Sie Hilfe bräuchten.« »Und warum fassen Sie mich dann einfach an?« fauchte ich ihn an.
    »Mein Gott, ich wollte doch nur helfen«, antwortete er und ging kopfschüttelnd weiter. Ich verfluchte mich. Noch keine Minute in der Stadt, und schon war ich unangenehm aufgefallen. Ich musste lernen, mich besser zu kontrollieren und mich unverdächtig zu benehmen. Vor allem aber ärgerte es mich, dass ich den herannahenden Schaffner nicht rechtzeitig gespürt hatte. Meine starken Gefühle angesichts der Rückkehr in meine Heimatstadt hatten mich unvorsichtig werden lassen. Ich atmete tief durch und machte mich sofort auf den Weg nach Hause. Es war noch nicht viel los auf dem Bahnhofsgelände. Ich schritt schnell und mit gesenktem Kopf an den Menschen vorbei. Niemand beachtete mich. Auf Umwegen, fernab der großen Straßen, die sich langsam mit Leben füllten, erreichte ich das Haus, in dem ich seit zwei Jahren zur Miete wohnte. Fast eine Minute lang stand ich reglos im Schatten eines Baumes und beobachtete den Eingang und die Fenster meiner Wohnung. Ich konnte nichts Verdächtiges feststellen. Also rannte ich schnell über die Straße, schloss die Haustür auf und lief die Treppen nach oben. Mein Herz pochte wie wild. Nur noch ein paar Stufen, dann würde ich endlich ein bisschen Ruhe finden. Doch gerade, als ich das Stockwerk mit meinem Appartement erreicht hatte, ging plötzlich die Wohnungstür meiner Nachbarin auf. Verdammt – so kurz vor dem Ziel. In Sekundenbruchteilen überdachte ich die Lage. Was konnte ich tun? Hinein in die Wohnung und die alte Frau töten? Fliehen?
    Ich sah, wie die Tür sich langsam öffnete. Ich stand keine drei Meter entfernt. In einer Sekunde würde die Frau mich sehen. Ich reagierte reflexhaft, drehte mich um und rannte mit aller Kraft zurück zur Treppe. Dabei geschah etwas Seltsames. Alles um mich herum wurde auf einmal undeutlich, Wind blies mir ins Gesicht und ich fand mich – nur einen Wimpernschlag später – ein ganzes Stockwerk tiefer. Offenbar besaß ich unter Stre ss die faszinierende Fähigkeit, mich mit ungeheurer Geschwindigkeit zu bewegen. Das schien allerdings sehr kräftezehrend zu sein, denn mein Herz klopfte bis zum Hals und ich spürte ein merkwürdiges Zittern in meinen Gliedern.
    »Komisch«, hörte ich meine Nachbarin noch zu ihrem Mann in die Wohnung hineinrufen. »Mir war eben so, als wenn da jemand gestanden hätte. Aber nun ist da niemand mehr. Seltsam. Ich hätte schwören können…«
    Ich hörte, wie sie in den Fahrstuhl schlurfte und ihr Mann die Wohnungstür schloss. Regungslos verharrte ich noch ein paar Minuten in Sicherheit. Erst dann schlich ich mich langsam die Treppe hinauf und schlüpfte so leise wie möglich in meine Wohnung. Sofort übermannte mich eine Welle von Geborgenheit. Hier war mein Zuhause. Und doch würde ich nicht bleiben können. Die Anzeige auf dem Anrufbeantworter blinkte. Ich drückte auf Nachrichten abhören«.
    »Wo bist du? Was ist passiert? Wir alle machen uns Sorgen«, hörte ich Rebeccas Stimme. Meine Mutter bat flehentlich um Rückruf und warf mir mal wieder Sorglosigkeit vor. Und selbst
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