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Bitter Lemon - Thriller

Titel: Bitter Lemon - Thriller
Autoren: C. Bertelsmann
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Als sich das Außentor der Justizvollzugsanstalt Rheinbach hinter ihnen schloss und Zoran Jerkov die ersten Atemzüge in Freiheit genoss, da wusste Kristina Gleisberg schlagartig, dass sie einen großen Fehler begangen hatte. Sie hätte zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht in Worte zu fassen und zu erklären vermocht, was um Himmels willen sie falsch gemacht haben sollte. Denn während der Mann neben ihr die ersten, unbeholfenen Schritte über den Vorplatz unternahm, strebte sie doch im Gleichschritt ihrem größten beruflichen Triumph entgegen. Davon war sie zumindest bis zu dieser Minute felsenfest überzeugt gewesen. Es war lediglich ihr Instinkt, der in diesem Augenblick ihren immer noch arglosen Verstand alarmierte und ihm über Blutdruck und Puls deutlich zu verstehen gab, dass sie einen Riesenfehler begangen hatte, als sie Zoran Jerkovs Bitte gefolgt war und die Meute alarmiert hatte.
    Die Meute lag bereits auf der Lauer. Hungrig. Auf dem Bürgersteig jenseits der Aachener Straße.
    Fernsehen, Hörfunk, Print, Online. Mikrofone, Kameras, Stative. Kristina Gleisberg zählte sechs Ü-Wagen.
    Zoran Jerkov blieb mitten auf der Straße stehen, nahm den prallen Seesack von der Schulter, stellte ihn behutsam auf dem Asphalt ab, sah hinauf in den wolkenlosen Himmel, lächelte und blinzelte der Sonne zu. Wie einer Komplizin.
    Warum stürmten sie nicht los? So wie immer? Nein, sie warteten jenseits der Straße, weil es die Gefängnisleitung zur Auflage gemacht hatte. Sie lauerten, reglos wie erfahrene Jäger. Jemand flüsterte eine Sprechprobe. Kristina Gleisberg berührte Jerkovs Arm, ganz sanft, als fürchtete sie, die Berührung könnte ihn erschrecken:
    »Zoran, vielleicht sollten wir jetzt …«
    »Natürlich, Kristina. Natürlich.«
    Jerkov schulterte den Seesack, überquerte den Rest der Straße, setzte den Seesack auf dem Bürgersteig ab, fixierte zunächst stumm die Gesichter, bevor er sich umständlich räusperte.
    »Guten Tag. Ich bin …«
    Erneutes Räuspern.
    »Ich bin … ich freue mich sehr, dass Sie … dass Sie so zahlreich hier erschienen sind … und … bitte … bitte entschuldigen Sie, aber ich … also, ich hatte die letzten zwölf Jahre nicht so oft Gelegenheit, die Sonne zu sehen … und ich hatte auch nicht so oft Gelegenheit, mich im Reden zu üben, und deshalb …«
    Jerkov hielt in seinem Gestammel inne.
    Die Meute wartete und starrte und schwieg. Nicht aus Mitleid, nein. Man war vielmehr peinlich berührt und inzwischen auch schon etwas gelangweilt und genervt.
    Wegen der verplemperten Zeit.
    Jerkov sah sich hilflos um.
    »Kristina, könntest du vielleicht …«
    »Natürlich, Zoran.«
    Kristina Gleisberg trat einen Schritt vor, neben Jerkov, und nickte ihm beruhigend zu. Soeben war die erste Gelegenheit verstrichen, ihn ungestört und ungestraft beobachten zu können, ohne ihm durch unablässigen Augenkontakt im Besuchszimmer der Justizvollzugsanstalt Rheinbach beweisen zu müssen, dass sie es ehrlich mit ihm meinte. Und so war sie dummerweise erst jetzt, in den wenigen Sekunden der stillen Beobachtung, zu der niederschmetternden Erkenntnis gelangt, dass dieser kleine, untersetzte, für 40 Jahre viel zu alt wirkende Mann mit den schwarz gefärbten, altbacken streng gescheitelten Haaren und der ungesund grauen Haut, dem übertrainierten Stiernacken und dem speckigen Anzug, der um die breiten Schultern spannte, dass dieser Mann alles Mögliche war – nur nicht das, was sich die Meute für diesen Tag erhofft und erwünscht und herbeigeredet hatte: eine vermarktbare Medienfigur. Nein, Zoran Jerkov sah weder wie ein bedauernswertes Opfer noch wie ein strahlender Held aus. Dieser Mann sah vielmehr wie ein Niemand aus.
    Sie hob frech das Kinn und entwaffnete die Reporter mit einem Lächeln, bevor sie loslegte:
    »Guten Tag. Schön, dass Sie gekommen sind. Mein Name ist Kristina Gleisberg. Und dies ist Zoran Jerkov … der Mann, auf den Sie so lange gewartet haben … und auf den Sie jetzt, hier draußen vor dem Tor, überflüssigerweise noch einmal eine halbe Stunde warten mussten. Nach zwölf Jahren hat man sich wohl aneinander gewöhnt, da drinnen, und so mochte sich die Gefängnisbürokratie zum guten Schluss offenbar gar nicht mehr von Zoran trennen. Wir mussten erst noch eine Menge Papiere ausfüllen. Aber jetzt ist Zoran Jerkov endlich draußen … und die Gefängnisbürokratie muss weiterhin drinnen bleiben.«
    Die ersten Lacher. Gut so. Der richtige Zeitpunkt, das Lächeln auszuschalten
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