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Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin

Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin

Titel: Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin
Autoren: Kester Schlenz
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den ganzen Tag geschlafen haben. Der Mann leuchtete mir mit einer Taschenlampe ins Gesicht und schrie unaufhörlich weiter.
    »Du kleine, verlotterte Diebin. Brichst hier ein und legst dich frech auf mein Bett. Dir werd ich’s zeigen.«
    Er schwenkte seine Taschenlampe in der Hütte herum. »Wo steht nur die verdammte Kerze?«
    Jetzt sah ich, dass er ein Gewehr auf mich gerichtet hielt. »Lassen Sie mich doch erklären«, krächzte ich mit heiserer Stimme. »Ich brauche Hilfe. Ich bin überfallen…«
    »Halts Maul, Flittchen!« schrie er, hob die Hand und machte einen Schritt auf mich zu.
    An das Folgende erinnere ich mich nur noch schemenhaft. Vielleicht habe ich es verdrängt, weil er der erste Mensch war, den ich getötet hatte. Weil ich in dieser Nacht mit allen Konsequenzen endgültig zu dem Wesen wurde, das ich heute bin. Ich erinnere mich nur noch an sein ungläubiges Gesicht, meine plötzliche Wut, das Krachen berstender Knochen und die ungeheure Wonne, als ich sein Blut trank.
    Ich blieb eine Woche im Wald. Ich brauchte Zeit, um mich damit abzufinden, dass ich kein Mensch mehr war, und um die Kette dieser ganzen unheimlichen und angsteinflößenden Ereignisse in eine innere Logik zu bringen. Doch es gab keinen Zweifel. Meine übernatürliche Kraft, meine Fähigkeit, im Dunkeln zu sehen. Die erschreckende Tatsache, dass mich das Blut des Jägers über mehrere Tage hinweg satt und zufrieden machte, mich euphorisiert, begeistert hatte. Das Kaninchen war nur eine schlechte, unbekömmliche Vorspeise gewesen. Menschenblut war es, das ich brauchte.
    »Ich schenke dir die Ewigkeit«, hatte meine seltsame Retterin gesagt. Und auf einmal wusste ich, dass sie mir etwas Furchtbares angetan hatte. Etwas Unwiderrufliches, Endgültiges. Sie hatte mich getötet und mir ein neues, unheimliches Leben geschenkt. Ich war ein Vampir geworden. Ein Wesen der Nacht. Eine Untote. Eine Blutsaugerin.
    Aber ich verstand längst nicht alles. Der Jäger, den ich getötet hatte, blieb tot. Ich konnte offensichtlich keine neuen Vampire schaffen. Das Licht der Sonne war mir unangenehm, aber es brachte mich nicht um. Und ich atmete wie ein lebender Mensch. Manchmal zweifelte ich deshalb und glaubte, mir alles nur einzubilden. Aber dann wieder sah ich, wie eine Wunde, die ich mir an einem spitzen Ast gerissen hatte, in ein paar Minuten heilte. Dann spürte ich das Wogen einer uralten Macht in mir. Eine Macht, die verhinderte, dass ich angesichts der erschreckenden Erkenntnis, ein untoter Blutsauger zu sein, wahnsinnig wurde. Ich haderte zwar mit meinem Schicksal, hatte Gewissensbisse wegen des Jägers, aber ich blieb gefasst und schmiedete sogar Zukunftspläne.

    Die Zeit verrann wie im Flug. Tagsüber schlief ich im Unterholz, döste im Schatten der Bäume und überdachte meine Lage. Nachts schlich ich durch die Dunkelheit und erprobte meine Fähigkeiten. Ich wurde eins mit der Finsternis und genoss es, ein Tier zu sein. Hunger hatte ich anfangs nicht. Doch nach acht Tagen kam das nagende Gefühl zurück, das beständig stärker und unangenehmer wurde. Ich wusste, es war soweit. Ich brauchte Blut. Menschenblut. Aber ich wollte auf keinen Fall noch einmal töten.

4 - IN DER STADT
    Aber ich tat es doch. Mein zweites Opfer war ein Wanderer, der zufällig im Wald meinen Weg kreuzte, als ich bereits halb wahnsinnig vor Hunger war. Er pfiff vor sich hin, und ich roch ihn schon, lange bevor ich ihn hören konnte. Wie ein Raubtier hockte ich bewegungslos hinter einem Gebüsch. Er kam näher. Ich ließ ihn passieren, folgte ihm lautlos im Schutze des Dickichts. Meine Bewegungen waren fließend, katzenhaft. Warum schlug ich nicht zu? Etwas in mir hielt mich zurück. Nein, tu es nicht. Er ist ein Mensch. Nimm ein Tier. Es ist Mord. Doch der Hunger und die Gier waren zu stark. Mit einem gewaltigen Sprung löste ich mich schließlich aus dem Schutz des Waldes und griff ihn an.
    Es ging alles sehr schnell. Der Mann gab nur einen unterdrückten Laut von sich, bevor ich ihn von hinten mit einem harten Schlag bewusstlos schlug. Er lag schlaff in meinen Armen. Seine Halsschlagader pulsierte. Tränen schossen mir in die Augen, als ich zubiss und ihn leertrank wie eine Verdurstende.
    Nachdem der unmittelbare Rausch verflogen war, kamen die Gewissensbisse. Der Jäger in der Hütte hatte mich angegriffen, aber dieser Mann war ein unschuldiges Opfer. Ich machte mir bittere Vorwürfe und ekelte mich vor mir selbst. Aus Ludmilla, der Studentin, war ein Ding
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