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Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin

Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin

Titel: Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin
Autoren: Kester Schlenz
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noch nie zuvor irgend etwas empfunden hatte. Ich brach zusammen, kroch wimmernd über den Boden und schlug meine Zähne ins Gras. Das Gefühl war unerträglich. Ich wusste nicht, wie ich den ungeheuren Drang nach Nahrung befriedigen konnte. Schließlich lag ich bewegungslos auf dem Boden und wimmerte. Bilder schossen mir durch den Kopf. Ein Raubtiergebiss. Rohes Fleisch. Blut. Ströme von Blut. Aus zerfetzten Adern hervorschießend. Kraftvoll, im Rhythmus eines schlagenden Herzens. Speichel sammelte sich in meinem Mund. Schließlich konnte ich noch nicht einmal mehr stöhnen und blickte bewegungslos in die Dunkelheit.
    Etwa drei Meter vor mir auf dem Boden sah ich ein Kaninchen, das neugierig in meine Richtung blickte. Ich spürte das Blut in ihm, und ehe ich auch nur einen weiteren Gedanken formen konnte, warf ich mich mit aller Macht auf das Tier. Nur einen Augenblick später hatte ich meine Zähne in das warme Fleisch des Kaninchens geschlagen und saugte gierig sein Blut. In meinem Kopf explodierte ein grelles Licht. Eine ungeheure Wonne paarte sich mit ebenso ungeheurem Entsetzen. Ich fühlte, wie mich das Blut stärkte, wie gut es schmeckte, und ekelte mich gleichzeitig vor der Ungeheuerlichkeit meines Tuns. Entsetzt sprang ich auf, schleuderte den Leichnam des Tieres mit einem Fauchen von mir und rannte wie besessen los. Hinein in die Finsternis des Waldes. Ich lief und lief, stolperte aber nie. Äste und andere Hindernisse sah ich schon von weitem und übersprang sie ohne Anstrengung. Trotz meiner Panik registrierte ich, dass ich in der Dunkelheit so gut sehen konnte wie mit einer hochentwickelten Nachtsichtbrille. Nach einer Zeit, die mir wie eine kleine Ewigkeit vorkam, wurde ich wieder schwächer. Wieder packte mich Übelkeit. Mein Körper schien sich plötzlich gegen das Blut zu wehren. Nach wenigen Metern brach ich keuchend zusammen, und eine gnädige Ohnmacht erlöste mich von den Schmerzen und der Übelkeit. Mein letzter Gedanke war, dass ich wohl unter Schock stand und deshalb seltsame Dinge getan hatte. Alles würde wieder gut werden, dachte ich. Alles, wenn ich nur wieder aus dem Wald herauskäme und Hilfe fände.
    Als ich wieder erwachte, dämmerte der Morgen. Es war die Stunde, in der dieses seltsame, diffuse Zwielicht alles mit dem Anschein des Unwirklichen umgibt. Aber der nahende Morgen gab mir Hoffnung. Ich fühlte mich etwas besser, aber immer noch sehr schwach.
    Einige Meter entfernt stand eine kleine Jagdhütte. Es erfüllte mich mit einer kindlichen Freude, auf ein Zeichen von Menschen, von Zivilisation zu stoßen. Doch gleichzeitig spürte ich auch eine sonderbare Unruhe. So als müsste ich auf einmal wachsam sein.
    Ich wankte auf die Hütte zu. Sie war mit einem Vorhängeschloss gesichert. Enttäuscht riss ich am Bügel des Schlosses. Wie durch ein Wunder sprang es auf. Ich hatte noch keine Vorstellung von meiner ungeheuren Körperkraft. Ich trat ein. Die Fensterläden waren geschlossen, aber ich erkannte einen groben Stuhl, einen kleinen Schreibtisch und eine Liege mit einer Decke. »Ein Bett«, dachte ich erleichtert, ließ mich darauf fallen und fiel sofort in einen tiefen, todesähnlichen Schlaf. Nach kurzer Zeit fing ich an zu träumen. Ich sah eine unwirkliche, karge Landschaft, knorrige Bäume, zwischen denen dichter Nebel auf und ab wogte. Plötzlich schoss ein seltsames Wesen aus dem diesigen Himmel herab. Es ähnelte einer Fledermaus, war aber ungleich größer und schwerer. Ich hörte das Geräusch lederartiger Schwingen, als das Geschöpf an mir vorüberflog, und sah einen kurzen Augenblick in sein Gesicht. Es war ein grotesker Anblick. Ich sah ein Tier, das menschliche Züge trug. Dann verschwand das menschengroße Ungetüm mit einem heiseren Schrei aus meinem Gesichtsfeld. Der Nebel lichtete sich und gab schließlich den Blick auf einen Kreis aus großen Steinen frei. Im Hintergrund erhob sich eine bizarre Felsformation. Im Steinkreis standen zehn Frauen in dunklen Gewändern, die Gesichter von Kapuzen bedeckt. Ich lief auf die Gruppe zu, doch die Entfernung wurde nicht geringer. Schließlich trat eine weitere Frau hinter einem Felsen hervor. Sie war groß und schlank. Die anderen Frauen wichen ehrfürchtig zur Seite. Die hochgewachsene Gestalt strich sich die Kapuze vom Kopf und…
    Eine laute, zornige Stimme weckte mich. »Verdammtes Pack. Was treibst du dich in meiner Hütte rum?« Ich fuhr hoch und sah die Silhouette eines Mannes. Draußen war es stockdunkel. Ich musste
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