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Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin

Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin

Titel: Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin
Autoren: Kester Schlenz
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Vorhänge, die neugierige Blicke abhalten sollten. Dieser Teil der Stadt schlief nie.
    Es war immer noch eine Menge los, aber niemand wagte es, mich aufzuhalten. Ich war eine junge, schlanke Frau, die sich zielsicher ihren Weg durch die Menge bahnte. Wenn ich es will, kann ich eine Aura um mich herum erzeugen, die die meisten Menschen instinktiv zurückschrecken lässt. Eine Fähigkeit, die ich wohldosiert einsetzen muss. Denn in diesem Zustand falle ich auf. In einem geschlossenen Raum würden sich nach wenigen Minuten alle Menschen auf der einen Seite und ich mich auf der anderen befinden. Sie würden mich anstarren wie einen knurrenden Kampfhund. Ich bin stark, aber sie können mich verletzen. Wenn es genug sind, können sie mich unter Umständen sogar töten oder mir zumindest Wunden zufügen. Auch wenn sie schon am nächsten Morgen verheilt sein würden, ich mag Schmerzen nicht sonderlich.
    Schließlich war ich zu Hause. Ein anonymes Mietshaus mit teuren Appartements. Ich wohnte im Penthouse, fünfzig Meter über dem Erdboden. Schneller als eine Katze lief ich die Treppen hoch, schloss die Tür auf und atmete tief durch. Ich musste äußerst vorsichtig sein. Einzig in meiner Wohnung mit den schweren Schlössern fühlte ich mich sicher. Ich zahlte stets pünktlich, und man stellte mir keine Fragen. Für die anderen Mieter war ich Ludmilla, eine vierundzwanzigjährige Frau, die nachts arbeitet und tagsüber schläft. Ich war immer freundlich, aber distanziert. Schließlich ließen sie mich in Ruhe.
    Ich ging zu den riesigen Fenstern, vor die ich tagsüber schwere, dunkle Vorhänge zog. Unter mir blinkten die Lichter der Stadt. Der Mond beleuchtete ein paar bizarre Wolken. Nicht weit entfernt lag der große Park. Dunkel und still. Eine Eule flog auf einen hohen Baum und wartete auf ein Opfer. Sie war wie ich. Eine Jägerin.
    Trotz meiner Stärke spürte ich ein ständiges Unbehagen. Ich verstand so vieles nicht. Manchmal, das fühlte ich deutlich, beobachtete mich jemand – etwas. Ein Wesen wie ich. Und doch blieb es verborgen. Warum nur? Aber auch vor den Menschen musste ich mich vorsehen. Wenn sie wüssten, was ich bin, würden sie alles daransetzen, mich zu vernichten.
    Ich stand lange am Fenster. Meine Gedanken flogen zurück in die Vergangenheit. Ich dachte an damals, als alles angefangen hatte. An die Zeit, in der ich aufhörte, als Mensch zu existieren, und zu dem Wesen wurde, das ich jetzt seit fast einem Jahr bin. Es kommt mir vor wie die Ewigkeit.

2 - DER HUND
    Alles begann an einem warmen Sommertag. Ich hatte mich überreden lassen, bei einem Picknick in den nahe gelegenen Wäldern mitzumachen. Eigentlich war ich nicht in Stimmung für solche Gemeinschaftsunternehmungen, denn die Trennung von meinem Freund Peter saß mir immer noch in den Knochen. Ich fühlte mich leer und antriebslos und war sogar kurz davor, mein Studium hinzuschmeißen. Rebecca, meine beste Freundin, ließ nichts unversucht, um mich irgendwie aufzuheitern.
    »Es kommen nette Leute mit, und das bringt dich auf andere Gedanken«, warb sie unermüdlich. Schließlich sagte ich zu, hauptsächlich um meine Ruhe zu haben und weiter in meinem Selbstmitleid baden zu können.
    Rebecca holte mich frühmorgens mit ihrem Auto ab. Wir fuhren mit zwei ziemlich albernen Jungs, die sich ständig auf die Schenkel klopften und verschwörerisch prusteten. Nach einer zweistündigen Fahrt parkten wir in der Nähe einer Lichtung, die einen wirklich atemberaubenden Anblick bot. Riesige Fichten standen wie gewaltige Wächter um ein tennisplatzgroßes Areal, und mitten hindurch kämpfte sich ein kleiner, unermüdlicher Fluss unbeirrbar seinen Weg. Die Luft flimmerte vor Hitze.
    Es waren schon etwa zehn Leute da. Sie saßen auf Decken, verteilten das mitgebrachte Essen und sammelten Holz für ein großes Lagerfeuer. Endlich entspannte ich mich und wurde sogar von der guten Laune der anderen angesteckt.
    »Es gibt ein Leben nach Peter«, sagte ich im stillen zu mir und rang mir sogar ein Lächeln für einen jungen Mann ab, der mich angrinste und eine Flasche Champagner schwenkte.
    »Noch kalt!« rief er. »Willst du ein Glas?«
    Dann sah ich Peter. Er kam mit einem Kasten Bier in den Händen hinter einem Auto hervor, stutzte und starrte mich blöd an. Mein Kopf fuhr herum zu Rebecca.
    »Ich wusste nicht, dass er auch kommt«, beeilte sie sich zu sagen. »Er sollte eigentlich arbeiten. Ich weiß auch nicht…«
    Ich ließ sie stehen und lief zum Auto zurück.
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