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Der Wald der Könige

Der Wald der Könige

Titel: Der Wald der Könige
Autoren: Edward Rutherfurd
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DER RUFUSSTEIN
     
     
     
    APRIL 2000
     
    Hoch über Sarum schwebte ein kleines Flugzeug. Unten thronte die anmutige Kathedrale mit ihrem hoch emporragenden Kirchturm wie ein riesiges Modell inmitten hügeliger grüner Wiesen. Jenseits des Kirchengrundes lag die mittelalterliche Stadt Salisbury friedlich in der Sonne. Am frühen Vormittag war ein typischer Aprilschauer niedergegangen, doch inzwischen war der Himmel klar und blassblau. Ein ausgezeichneter Tag für einen Erkundungsflug, dachte Dottie Pride. Nicht zum ersten Mal war sie froh, eine Stelle beim Fernsehen ergattert zu haben.
    Auch wenn man ihrem Chef so manchen Fehler nachsagen konnte – und bei einigen Leuten galt John Grockleton als ausgesprochener Rüpel –, jedenfalls war er nicht zu knauserig, um ein Flugzeug zu mieten. »Er will sich nur bei Ihnen beliebt machen«, hatte einer der Kameramänner angemerkt, aber das kümmerte Dottie wenig. Wichtig war nur, dass sie heute an diesem schönen Morgen in einer Cessna saß.
    Von Sarum aus verlief das malerische Avontal, gesäumt von üppig grünen Wiesen, mehr als dreißig Kilometer weit nach Süden, bis zu den geschützten Gewässern des Hafens von Christchurch. Dottie warf einen Blick auf die Karte. Zwischen Sarum und dem Meer gab es am Avon nur zwei kleine Marktflecken. Fordingbridge, etwa fünfzehn Kilometer im Süden, Ringwood, noch einmal fünfzehn Kilometer weiter.
    Unterhalb von Ringwood entdeckte sie eine weitere Ortschaft namens Tyrrell’s Ford.
    Kurz vor Fordingbridge machte die Maschine eine Kurve und hielt auf den Südosten zu. Sie überflogen eine niedrige, mit Eichen bewachsene Bergkette.
    Und da lag er unter ihnen, in all seiner Pracht. Der New Forest.
     
     
    Es war Grockletons Idee gewesen, einen Beitrag über den New Forest zu drehen, denn in letzter Zeit war es in dieser Gegend zu Bürgerprotesten, hitzigen Versammlungen und Brandstiftungen durch Einheimische gekommen. Schon seit ein paar Monaten waren Kamerateams vor Ort.
    Doch Grockletons Interesse war durch eine andere Meldung geweckt worden, eine neue historische Erkenntnis, ein Stück Geschichtsschreibung.
    »Darüber müssen wir auf jeden Fall etwas bringen«, hatte er verkündet. »Und vielleicht reicht der Stoff sogar noch für mehr, nämlich für einen Dokumentarfilm, der auf die Hintergründe eingeht. Schauen Sie sich mal dort um, Dottie. Lassen Sie sich ein paar Tage Zeit. Die Gegend ist wunderschön.«
    Offenbar will er sich wirklich bei mir einschmeicheln, überlegte Dottie.
    Und möglicherweise verfolgte ihr Chef dabei Hintergedanken, eine Vermutung, die ihr schon am Vortag gekommen war.
    »Haben Sie vielleicht Verwandtschaft im New Forest?«, hatte er gefragt.
    »Soweit ich weiß, nein, John«, erwiderte sie. »Sie etwa?«
    »Auch wenn es merkwürdig klingt, ja. Im letzten Jahrhundert hatte meine Familie dort ziemlich viel zu melden. Ich glaube, es gibt sogar ein ganzes Waldstück, das nach uns benannt ist.« Er lächelte ihr zu. »Das könnten Sie irgendwie einarbeiten. Natürlich nur, wenn es passt.«
    »Schon gut, John«, erwiderte sie spöttisch. »Ich werde sehen, was sich machen lässt.«
    Etwa fünfzehn Kilometer weit flogen sie über Schonungen und braunes Heidekraut. Die Gegend war wilder und verlassener, als Dottie es sich vorgestellt hatte. Doch als sie Lyndhurst, den Mittelpunkt des New Forest, erreichten, veränderte sich die Landschaft. Eichenhaine, grüne Lichtungen, Wiesen, auf denen kleine, gedrungene Ponys weideten; hübsche, mit Stroh gedeckte Hütten, weiß verputzt oder aus Backstein. Das war der New Forest, wie Dottie ihn von Ansichtskarten her kannte. Sie folgten der alten Straße, die mitten durch den Forest nach Süden führte. Unter ihnen erstreckten sich dichte Eichenwälder. In einem Hain bemerkte sie einige Hirsche. Sie überflogen ein Dorf in einer großen Lichtung, Ponys wimmelten auf den baumlosen, grünen Wiesen: Brockenhurst. Dann kam ein kleiner Fluss in Sicht, der sich zwischen steilen Ufern durch ein üppig bewachsenes Tal nach Süden schlängelte. Hie und da entdeckte die Journalistin Bauernhäuser, umgeben von Koppeln und Obstgärten. Die Leute hier schienen wohlhabend zu sein. Auf einer Anhöhe am bewaldeten östlichen Ende des Tals sah sie eine gedrungene kleine Pfarrkirche, die offenbar vor vielen Jahren erbaut worden war. Die Kirche von Boldre. Sie nahm sich vor, dieses Gebäude möglichst bald zu besichtigen.
    Eine Minute später erreichten sie die geschäftige Hafenstadt
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