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"Arschtritt" - Senzel, H: "Arschtritt"

"Arschtritt" - Senzel, H: "Arschtritt"

Titel: "Arschtritt" - Senzel, H: "Arschtritt"
Autoren: Holger Senzel
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Vorwort
    Das erste Morgengrau zeigt sich am Nachthimmel, als der Wecker klingelt. 5.00 Uhr. Wie verlockend es wäre, dem Erwachen des neuen Tages zuzusehen – vom Bett aus mit einer Tasse Kaffee. Und wie widerwärtig die Vorstellung ist, im gechlorten Schwimmbad mit Rentnern Bahnen zu ziehen und müde Muskeln mit Geräten und Gewichten zu martern. Wie bin ich bloß auf diese Schwachsinnsidee gekommen?
    »STEH AUF, DU FAULER SACK!«, brüllt mein innerer Drillsergeant. Vier Wochen lang habe ich das Kommando an ihn abgegeben. Ich habe meinen inneren Schweinehund in ein militärisches Trainingscamp geschickt, wo ihm dieser üble Schleifer für vier Wochen Beine machen soll. Jeden Morgen dieselbe Brüllerei in meinem Kopf: Der innere Schweinehund will sich drücken – und hat die kuschelwarme Bettdecke zur Verbündeten. Sport – gut und schön, aber ich könnte es doch genauso gut abends tun, und die Welt wird kaum untergehen, wenn ich es heute mal ganz sein lasse. Einfach nur noch ein Stündchen liegen bleiben … Aber der Drillsergeant
lässt nicht mit sich diskutieren. Ich hätte einen Vertrag mit mir selbst unterschrieben, und daran solle ich mich gefälligst halten. Es ist ein ständiger Kampf in meiner Fantasie – so wie in dem Sketch des Kabarettisten Horst Evers. Der inszeniert das Bemühen um Veränderung als Fußballspiel in seinem Hirn: FC »Nun reiß dich mal zusammen« gegen Fortuna »Morgen ist auch noch ein Tag«.
     
    Ich habe in Therapien zehn Jahre lang die Lösung für alle Probleme und Konflikte in meinem Inneren gesucht. Jetzt probiere ich es von außen. Ignoriere für vier Wochen meine Seele völlig – und kümmere mich nur um das Machbare. Meinen Körper fit machen, meinen Geist beschäftigen, den Schreibtisch aufräumen, zerrissene Schnürsenkel ersetzen. Knöpfe annähen gegen die Depression klingt schräg. Aber besser kleine Aufgaben erledigen als große liegen lassen. Es summiert sich zu einem knallharten Programm. Randvoll gepackt mit lauter Sachen, die mein Verstand für sinnvoll befunden hat. Und das alles unbetäubt – ohne Alkohol, Fernsehen oder Shoppen. 28 Tage vom Aufstehen bis Schlafen minutiös verplant. Ich muss da jetzt nicht mehr drüber nachdenken, sondern nur noch stumpf Punkt für Punkt von meinem Plan abarbeiten. Was heißt »nur« – es ist trotzdem üble Schinderei und mein Widerwille geradezu brechreiz-erregend. Aber dem fiesen Schleifer ist das egal. Ob ich murre, jammere, stöhne, fluche und wie »es« sich anfühlt für mich. Wie fühlt »es« sich an? Das haben meine Therapeuten immer gefragt. Es ist völlig uninteressant, wie sich das hier anfühlt – es muss einfach gemacht werden!

    Ich habe vier Psychotherapien hinter mir und einen Zusammenbruch mit anschließender psychosomatischer Klinik. Ich habe meine Seele bis auf ihren schwärzesten Grund ausgeleuchtet, mich meinen Ängsten gestellt und getrauert um diesen bedürftigen kleinen Jungen in mir. Immer wieder versucht, meinen Gefühlen nah zu sein. Ich habe eine Menge gelernt in meinen Therapien – aber der Erkenntnis sind keine Taten gefolgt …
    … vielleicht geht es ja umgekehrt und den Taten folgt die Erkenntnis. Ich baue ein solides Haus für meine Seele und hoffe, dass sie darin von ganz alleine gesund wird. Ich trete mich gewaltig in den Hintern! Statt ständig über mich selbst nachzugrübeln und mich zu fragen, was falsch läuft – und warum. Und wieso ich diesen Fehler gemacht und jene Chance nicht ergriffen habe und was ich will im Leben. Das alles ist kein Thema mehr. Natürlich kann ich in einem Monat nicht mein Leben komplett ändern, aber ich kann zumindest mal damit anfangen. Bin ich in der Lage zu tun, was ich mir vorgenommen habe? – Das ist die Frage.
    Eine entscheidende Lektion
    Eine halbe Stunde später stehe ich mit meiner Sporttasche auf einem U-Bahnhof. Es ist frisch heute früh, und ich bin zu dünn angezogen. Ich fröstele und bin übermüdet, der Zug kommt nicht. Fünfzehn Minuten Verspätung kündigt der Lautsprecher an. »Das wird doch alles viel zu knapp und hektisch«, frohlockt mein innerer Schweinehund, »geh nach Hause und leg dich wieder hin. Morgen ist auch noch ein Tag …« Natürlich bin ich zum Sport gefahren. Wieder ein kleiner Sieg, der mich
stolz macht. Ein Erfolgserlebnis wie jede nicht gerauchte Zigarette, jedes nicht getrunkene Glas Rotwein. So ein Abend ohne Entspannungsdrink, ohne Fernsehen – der kann ja verdammt still und leer sein. Es gab üble Nächte,
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