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Im Land der Mond-Orchidee

Im Land der Mond-Orchidee

Titel: Im Land der Mond-Orchidee
Autoren: Anne Witt de
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Abschied von Norderbrake
    1
    D u fährst mir dort nicht hin,
Neele.« Die Rechte des Mannes packte Neeles Handgelenk
und zwang sie, stehen zu bleiben und ihn anzusehen. »Nicht, wenn ich es verhindern
kann.«
    Â»Du kannst es nicht verhindern, Jürgen. Wo die Nadel hingeht, da
geht der Faden auch hin, das war zu allen Zeiten so. Wenn Frieder nach Java
will, muss ich mit ihm.« Die junge Frau wand sich
gewaltsam los. Ihre langen Kleider flatterten im Wind, der über das Flachmoor
pfiff und ein Gewitter ankündigte. Ihre Zopfkrone löste sich aus den Spangen.
Sie wich vor ihm zurück, und doch hätte sie sich am liebsten an ihn geklammert,
einfach, weil er ein Stück Heimatland war, weil er sie hier festhalten wollte.
Hin und her gerissen zwischen der Unmöglichkeit, seinem Drängen zu folgen, und
der Furcht vor dem fremden Land, in das ihr Ehemann sie zwang ihm zu folgen,
stand sie da, Tränen in den hellgrauen Augen.
    Â»Du weinst!« Jürgen geriet so außer sich,
dass er sie auf offener Dorfstraße in die Arme ziehen wollte. Sie konnte ihn
gerade noch rechtzeitig abwehren. Nicht auszudenken, wenn jemand sie sah!
Frieder war so eifersüchtig. Und wie Männer nun einmal sind, sah er die Schuld
bei seiner Frau, nicht bei dem liebestollen Burschen, der ihr auf Schritt und
Tritt nachlief. Wahrscheinlich war ihr Gatte nur deshalb so bereitwillig auf
den Vorschlag der Doktorsleute eingegangen, weil er sie in Java weit weg von
Jürgen wähnte. Er war nämlich im Allgemeinen kein Mensch, der Freude an
Abenteuern an fernen Küsten hatte.
    Mit beiden Armen stieß Neele Frieder von sich. »Lass mich! Es ist
nun einmal abgemacht; ob ich will oder nicht.« Aber
sie konnte nicht verbergen, dass ihr die Tränen über die Wangen liefen bei dem
Gedanken, das geliebte Moor zu verlassen, in dem sie aufgewachsen war. Als
wollte es ihr den Abschied schwer machen, bot es sich in seiner ganzen
abendlichen Schönheit den Blicken dar. Violette und blaue Schatten in den
Mulden und Senken wechselten mit dem rotgoldenen Glanz der Bäume und Büsche,
auf denen das schwindende Sonnenlicht spielte. Die Tümpel glänzten wie
Spiegelscheiben. Da und dort begann bereits ein erster unternehmungslustiger
Frosch zu quaken – die Ouvertüre für das nächtliche Konzert.
    Â»Aber warum denn, warum?«, schrie er sie
an. Seine Augen blitzten vor Zorn und Verzweiflung. »Was gibt es dort, was dir
in deinem deutschen Vaterland fehlt? Java muss die Hölle selbst sein mit seiner
schwefligen Luft, der Asche überall, den Feuerbergen!«
    Frieders Worte steigerten Neeles Verzweiflung, und um sich selbst zu
trösten, widersprach sie ihm mit schriller Stimme. »Unsinn! Pastor Clemens
schreibt, es sei sehr schön dort. Und es geht nicht darum, was es dort gibt,
sondern was es hier nicht mehr gibt, nämlich die Hälfte der Wurt, auf der unser
Hof steht! Jürgen Simms, bist du so vernagelt? Du hast doch mit eigenen Augen
gesehen, was der Sturm angerichtet hat. Noch ein solches Unwetter, und wir alle
versinken mitsamt den Trümmern unseres Hauses im Moor.«
    Â»Dann baut ein neues! Es wäre ohnehin besser, diese Mäuseburg würde
versinken mitsamt alle euren schmutzigen Geheimnissen, euren …« Er unterbrach
sich erschrocken. Die Augen weit geöffnet, starrte er sie an. »War nicht so
gemeint«, stammelte er schwerfällig. Plötzlich hätte er es eilig gehabt, sich
von ihr zu verabschieden. Aber sie versperrte ihm den Weg, fasste ihn mit einer
Hand an den Schößen des langen Gehrocks. »Nein, ich will wissen, was du gesagt
hast!«
    Trotzig zuckte er die Achseln. »Weißt schon. Die Schmuggler. Da
waren eure Leute alle dabei.«
    Â»Das weiß ich längst. Sag mir die Wahrheit. Und erzähl mir nicht
irgendwelche Geistergeschichten über das grüne Zimmer.«
    Er zuckte mürrisch die Achseln mit einer Bewegung, die ihr verriet,
dass er über genau das hatte reden wollen, und stelzte davon. Erst als er schon
fast außer Hörweite war, rief er drohend zurück: »Es wird dir noch leidtun,
dass du Deutschland verlassen hast – und noch mehr, dass du mich verlassen hast!«
    Neele Selmaker stampfte vor Zorn auf den Boden. Wenn es ihm jetzt
leidtat, dass er sie nicht geheiratet hatte, warum hatte er dann nicht um ihre
Hand angehalten, als sie noch zu haben gewesen war? Damals war er auf See
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