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Im Land der Mond-Orchidee

Im Land der Mond-Orchidee

Titel: Im Land der Mond-Orchidee
Autoren: Anne Witt de
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verschlungen wurden, und nun hatte es auch das ohnehin schon altersschwache
Laudrun-Haus erwischt. Es würde nicht mehr lange dauern, bis es vollkommen
unbewohnbar wurde.
    Eine Mäuseburg hatte Jürgen es genannt, und damit hatte er recht
gehabt. Sie verstand Frieder ja, dass sie hier nicht mehr bleiben konnten. Aber
musste er deshalb gleich in ein vollkommen fremdes Land reisen, mit dessen
Menschen und Lebensweise sie nicht das Geringste verband? Jetzt bekam sie die
Quittung dafür, dass sie einfältig genug gewesen war, Frieder Selmaker das Jawort
zu geben.
    Wie hatte Tante Käthe damals gesagt? »Bekommst doch sowieso keinen
anderen, worauf willst du da warten? Deine Mutter war eine Schlampe, die der
Wind ins Dorf geblasen hat. Wer möchte ihr Kind heiraten?«
    Sie wusste, dass die alte Dame es gut mit ihr meinte, auch wenn ihre
Worte so bitter klangen. Käthe, die Frau des ältesten Laudrun-Bruders Merten,
hatte sich von Anfang an große Sorgen gemacht, was aus dem Kind einmal werden
sollte. Sie war überzeugt, dass es von der Mutter her gefährliche Anlagen hatte – was sie Neele auch ungeschminkt wissen ließ –, und bemühte sich nach Kräften,
diese durch eine streng protestantische Erziehung zu bekämpfen. Obwohl sich
Neele als ein ruhiges, zurückhaltendes und mit seinem stillen Leben zufriedenes
Mädchen erwies, hatte Käthe vorsichtshalber noch eine Heirat mit Frieder
Selmaker arrangiert. Der schweigsame, schwerfällige Frieder war ihr als
Garantie erschienen, dass Neeles Leben von keinem Hauch des Abenteuers berührt
werden würde. Und dann hatte ausgerechnet Frieder den Plan gefasst
auszuwandern!
    Jetzt lief die Hausfrau Neele entgegen, als kehrte diese von Fahrten
auf stürmischen Meeren zurück anstatt aus dem keine Viertelstunde entfernten
Dorf.
    Â»Meine Liebe, endlich bist du da! Ich habe dich schon in einem
Sumpfloch ertrunken gesehen! Und wie du aussiehst – entsetzlich –, bitte bring
das sofort in Ordnung, man muss sich ja schämen, wenn dich die Dienstboten
sehen!« Käthe redete immer noch von »den Dienstboten«,
obwohl deren Anzahl längst auf die Wirtschafterin und einen Knecht für die
schweren Arbeiten zusammengeschrumpft war.
    Neele beeilte sich zu gehorchen. Sie wollte die ohnehin aufgeregte
alte Dame nicht noch mehr aus dem Gleichgewicht bringen. Sie eilte durch die Diele
in den hinteren Teil des Hauses, wo die Türen niedrig und tief in die Mauer
eingelassen waren. Unwillkürlich presste sie die Lippen zusammen, als sie an
der fest verschlossenen Tür des grünen Zimmers vorbeikamen, über das Jürgen ihr
Geistergeschichten hatte erzählen wollen. Es war das Jagdzimmer, das mit dem
doppelten Unheil in Zusammenhang stand. Es war nie wieder benutzt worden, und
im Dorfkrug erzählte man sich zu vorgerückter Stunde Geschichten, dass zuweilen
leuchtende Kreuze auf den Fensterläden erschienen und Schläge in den Mauern ertönten.
Neele hielt nichts von dem Geschwätz, aber sie hatte das Zimmer, das nach der
notdürftigen Säuberung unverändert so verblieben war, wie es fünfzehn Jahre zuvor
ausgesehen hatte, niemals betreten wollen. Nun, ein
paar Tage noch, und es würde so weit aus ihrem Leben entschwunden sein wie
alles andere in Norderbrake auch …
    Eilig klomm sie die steile Treppe hinauf. Ihr Arbeitszimmer, in dem
sie schneiderte und webte, blickte über den Garten hinaus. Es war ein Raum mit
einem dreiteiligen Fenster und einem mächtigen hölzernen Tisch. In einem
Glaskasten lagen aufgereiht Fundstücke aus dem Moor. Das Moor war voll von
seltsamen Dingen, und man musste nur ein wenig Obacht geben, um Steinkeile und
Äxte zu finden, Gefäßscherben, gelochte Schmucksteine und Ähnliches. Tante
Käthe konnte diese Sammlung nicht ausstehen. Als stramme Calvinistin war sie
überzeugt, dass von dem heidnischen Zeug ein unheilvoller Einfluss auf das
ganze Hauswesen ausging, und hatte Frieder gedrängt, seiner Frau zu verbieten,
dass sie solche Schätze aufklaubte. Aber er hatte nur mürrisch die Achseln
gezuckt und gebrummt, solange sie ihre Arbeit mache, könne sie auch den alten
Kram aufheben. Sicher würde Käthe es wegwerfen, sobald Neele verschwunden war.
Die junge Frau bedauerte das, aber die Sammlung mitzunehmen war unmöglich, war
doch schon das normale Gepäck auf zwei Koffer pro Person begrenzt.
    Neele liebte
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