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Schmerzgrenze

Schmerzgrenze

Titel: Schmerzgrenze
Autoren: Joachim Bauer
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Alltägliche und globale Gewalt verstehen und begrenzen lernen
    Â»So lasst uns nach der Welt streben, die sein sollte – nach dem göttlichen Funken, der sich immer noch in unserer Seele regt!«
    (Barack H. Obama, Nobelpreisrede 2009)
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    Aggression und Gewalt werden den Menschen auch weiter begleiten. Das Ziel dieses Buches war es nicht, Vorschläge zur Abschaffung der Aggression zu unterbreiten. Angesichts ihrer Bedeutung als soziales Regulativ wäre dies weder wünschenswert noch realistisch. Woran uns aber nachdrücklich gelegen sein muss, ist eine Begrenzung und deutliche Zurückführung destruktiver und selbstzerstörerischer Gewalt. Dies kann nur gelingen, wenn wir die Aggression von den Mythenbildungen befreien, von denen sie umgeben ist, und ihre Ursachen verstehen. Das nachfolgende Resümee soll einige Erkenntnisse nochmals zusammenfassen und in den Kontext unserer realen Welt stellen. Dabei sollte erkennbar werden, wie wir alltägliche und globale Gewalt verstehen und begrenzen können.

    Zum Wesen der Aggression
    Aggression ist ein evolutionär entstandenes, neurobiologisch verankertes Verhaltensprogramm, welches den Menschen in die Lage versetzen soll, seine körperliche Unversehrtheit zu bewahren und Schmerz abzuwehren. Die neurobiologischen Schmerzzentren des menschlichen Gehirns reagieren jedoch nicht nur auf körperlichen Schmerz, sondern werden auch dann aktiv, wenn Menschen ausgegrenzt oder gedemütigt werden. Nach dem Gesetz der Schmerzgrenze wird Aggression nicht nur durch willkürlich zugefügten Schmerz, sondern auch durch soziale Ausgrenzung hervorgerufen.
    Nicht ausgegrenzt zu sein, sondern befriedigende Beziehungen zu anderen zu pflegen, zählt zu den menschlichen Grundmotivationen. Wer Menschen von Beziehungen abschneidet, indem er sie ausgrenzt und demütigt, tangiert die physische und psychische Schmerzgrenze und wird Aggression ernten. Der Aggressionsapparat erweist sich damit als Hilfssystem des neurobiologischen Motivationssystems, welches auf soziale Akzeptanz ausgerichtet ist. Aggression wird erzeugt, wenn wichtige zwischenmenschliche Bindungen fehlen oder bedroht sind. Die Grundregeln der Aggressionserzeugung gelten nicht nur für einzelne Personen, sondern auch für Menschengruppen oder Nationen.
    Ein Hauptgrund dafür, dass Aggression oder Gewalt häufig völlig unbegründet und unverständlich erscheint, ist das Phänomen der Verschiebung: In einem Menschen entstandene Aggressionsbereitschaft kann vom Gehirn in einem »Aggressionsgedächtnis« gespeichert werden. Dies kann einerseits zur Folge haben, dass sich das aufgestaute Aggressionspotenzial nicht gegen diejenige Person richtet, welche
die Aggression provoziert hatte, sondern an eine andere Adresse. Andererseits besteht die Möglichkeit, dass sich ein entstandenes Potenzial erst mit erheblicher zeitlicher Verzögerung entlädt. Verschiebungsphänomene zeigen sich nicht nur bei Einzelpersonen, sondern wiederum auch bei Gruppen oder Nationen.
    Verschiebungsphänomene sind besonders fatal, weil sie plötzliche Aggression bei anderen unverständlich und unbegründet erscheinen lassen und darüber hinaus der zentralen Funktion der Aggression entgegenstehen, ein soziales Regulativ zu sein. Aus dem Blickwinkel ihrer evolutionären Entstehungsgeschichte betrachtet, ist die Aggression ein kommunikatives Signal, welches der Umwelt eines Individuums ein Zeichen geben soll, dass ein nicht akzeptabler körperlicher oder sozialer Schmerz empfunden wird. Wenn die Aggression ihre kommunikative Funktion des Aufmerksammachens behält, ist sie konstruktiv. Wenn sie diese Funktion eingebüßt hat, wird sie destruktiv und zum Auslöser von Gewaltkreisläufen.
    Aggression und Gewalttätigkeit finden sich bei beiden Geschlechtern, zeigen sich jedoch in unterschiedlicher Akzentuierung. Gene sind per se, das heißt aus sich alleine heraus, nicht in der Lage, aggressives Verhalten zu verursachen. Sie beeinflussen aber die Empfindlichkeit der Schmerzgrenze und können – allerdings nur im Zusammenspiel mit Aggression provozierenden Faktoren – die aggressive Reaktionsbereitschaft verändern. Psychopathen repräsentieren in keiner Weise einen »Prototyp« menschlicher Aggression, sondern sind Kranke, die markante neurobiologische Abweichungen aufweisen. Die Gemeinschaft muss vor ihnen geschützt
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