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Willenlos

Willenlos

Titel: Willenlos
Autoren: Erwin Kohl
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    Sonnenstrahlen schoben sich über die Giebel der Dächer. Von der Rückseite eines der Doppelhäuser, die sich wie Kopien glichen, klang das Geräusch eines Rasenmähers nach vorn. Wenige Minuten später starteten ein zweiter und ein dritter. Ihr Klangteppich legte sich unsanft über unkrautfreie Vorgärten und das blass rötliche Pflaster der kleinen Stichstraße. Auf der Stange eines bunten Kunststoffvogelhäuschens aus dem Supermarkt saß ein Rotkehlchen. Seine zarte Stimme war chancenlos. Wild gestikulierend, mit weit aufgerissenem Schnabel wirkte der kleine Vogel wie ein Pantomime.
    In dem Haus am Wendekreis des Heinrich-Holtschneider-Weges im Duisburger Stadtteil Kalkum saß die Familie Hornbach in entspannter Atmosphäre am Frühstückstisch. An gewöhnlichen Wochentagen glich die Küche der Hornbachs am frühen Morgen einem Bahnhofscafé mit fehlender Drehtür. Man ging kurz hinein, machte sich schnell ein Brot für den anstrengenden Arbeits- oder Schultag, trank schnell noch eine Tasse im Stehen und zog in den Tag. Umso mehr genossen sie die gemeinsamen Mahlzeiten an den Wochenenden. Am heutigen Samstag waren die beiden Kinder Frederik und Jennifer als Erste wach und hatten das Frühstück vorbereitet. Frisch gepressten Orangensaft, Rühreier mit Speck für Papi und Vollkornbrot vom Biobäcker.
    Wie jeden Samstag wollten die Hornbachs mit ihren Kindern das Wochenende planen. Sie konnten sich nicht daran gewöhnen, dass die Teenager mehr und mehr ihre eigenen Wege gingen. Der Versuch, am Abend mit den Kindern nicht nur ins Kino zu gehen, sondern auch noch einen Trickfilm anzusehen, scheiterte kläglich. Jenny und Freddy hatten den Tag bereits verplant.
    Manuela Hornbachs Blick wanderte ins Leere. Mit ihrem Mann fortgehen, die Kinder allein lassen, wollte sie nicht. Auf einen Abend vor dem Fernseher hatte sie ebenfalls keine Lust. Sie könnten Freunde einladen, dachte sie, als ihr eine bessere Idee kam.
    »Was hältst du davon, wenn ich noch beim Reisebüro vorbeischaue und Prospekte mitbringe? Wir könnten heute Abend bei einem leckeren Rotwein die Herbstferien verplanen.«
    »Wir haben den Sommerurlaub doch schon gebucht.«
    »Ja, aber wo du doch jetzt befördert worden bist. Wer weiß, wie lange die Kinder noch mit uns Alten in den Urlaub fahren möchten.«
    Udo Hornbach gab sofort nach. Er wusste, dass es wenig Zweck hatte zu diskutieren. Seine Frau unterrichtete an der Grundschule im Ort. Sie würde am liebsten in allen Schulferien verreisen.
    Manuela faltete den Einkaufszettel und steckte ihn ein. Wie beinahe jeden Samstag musste sie in die Stadt fahren, um alles zu bekommen. Auf dem Weg dorthin wollte sie Jenny am Reiterhof absetzen und Freddy zum Bolzplatz bringen. Es stand ein wichtiges Lokalderby gegen das Team vom ›Krausen Baum‹, einer Straße auf der rheinnahen Seite der B 8, auf dem Plan. Freddy hatte seit drei Wochen nichts anderes als die Revanche für das peinliche 2:9 vom April im Kopf.
    Udo Hornbach nutzte die Zeit bis zur Rückkehr seiner Familie. Er schnitt den Rasen und legte anschließend Werkzeug, Pinsel und Farbe bereit. Mit seinem Sohn wollte er am Nachmittag eine Torwand für den Garten bauen. Bevor er zum Schreiner fuhr, machte er sich zunächst einen Plan. Aus dem Internet besorgte er sich die übliche Größe einer Torwand. Anschließend ging er in sein Kellerbüro und fertigte Zeichnung und Materialliste an. Es machte ihm riesigen Spaß, er freute sich auf die Bastelei mit seinem Sohn.
    Udo Hornbach beschlich eine tiefe Zufriedenheit. Er hatte die beste Familie, die man sich wünschen konnte. Eine tolle Frau und zwei aufgeschlossene, fröhliche Kinder. Auch wirtschaftlich ging es ihnen prächtig. Die Hypothek für das Haus war fast abbezahlt, die Zukunft, gerade jetzt nach der Beförderung zum Amtsrat, wirktevielversprechend. Bernd Sachse, sein alter Jugendfreund, fiel ihm ein. Bernd war das genaue Gegenteil von ihm. Kein bisschen bodenständig, dauernd musste er etwas Neues anfangen. Privat und beruflich. Vor einem Monat hatte er mit seiner neuen Flamme Linda ein Tattoostudio in Duisburg eröffnet. Darauf würde Udo im Traum nicht kommen. Als er Bernd während der Eröffnungsfeier mit vollem Ernst erzählte, dass er dem Finanzamt Duisburg freiwillig 21 Euro zu viel erstatteter Steuernzurücküberwiesen hatte, meinte sein Freund, er sei ein hoffnungsloser Spießer. Udo Hornbach zuckte die Schultern. Bei ihm musste eben alles korrekt zugehen. Er brauchte diese Ordnung
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