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Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin

Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin

Titel: Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin
Autoren: Kester Schlenz
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die der Professor für uns öffnete. Ein warmer Hauch schlug uns entgegen. Eine Treppe führte weiter hinunter, nur spärlich beleuchtet von winzigen Glühbirnen, die an den Wänden befestigt waren.
    »Das ganze Grundstück ist mit getarnten Kameras bestückt«, sagte der Professor und ging hinab. »Als ich euch kommen sah, bin ich schnell hinauf in mein Arbeitszimmer gegangen. So wie ich es immer tue, wenn unerwarteter Besuch kommt.«
    Ich bekam eine Gänsehaut. Was hatte mir der Professor verschwiegen? Was verbarg sich hier in der Tiefe für ein Geheimnis?
    »Nun kommt schon«, sagte Barker, als Pia und ich zögernd auf der Treppe stehenblieben. »Ich bin doch nur ein alter Mann.«
    Dann lachte er schallend und ging, ohne sich noch einmal umzudrehen, weiter die Treppe hinab. Wir folgten ihm. Pia zitterte.
    »Was soll das hier werden?« fragte sie. Ihre Stimme klang dünn.
    »Ich habe keine Ahnung«, antwortete ich und ging weiter.
    Die Treppe führte weit hinunter ins Erdreich. Barker verschwand hinter einer Biegung, und als wir diese passierten, lag auf einmal ein großer, äußerst seltsamer Raum vor uns. Er war etwa vierzig Quadratmeter groß, kreisrund und komplett mit Granitbrocken verkleidet. Eingelassen in die Wand waren mehrere TV-Monitore, die das gesamte Gelände und das Innere von Barkers Haus zeigten. Der Fußboden war mit kunstvollen Teppichen ausgelegt. Nischen in den Wänden beherbergten archäologische Fundstücke aus verschiedenen Epochen der Menschheitsgeschichte, wie ich sofort erkannte. An den Wänden hingen zahllose Gemälde, Zeichnungen und gerahmte Fotos.
    Ein Kamin sorgte für Licht und erklärte die Wärme, die wir schon oben an der Treppe gefühlt hatten. Ein großer Tisch, vollbepackt mit Büchern und irgendwelchen sehr alt aussehenden Dokumenten und ein lederner Sessel standen neben dem Feuer. In dem Sessel saß Professor Barker und lächelte uns an. »Willkommen, meine Damen. Ich darf Sie in meinem eigentlichen Zuhause begrüßen. Es war lange niemand hier. Sehr lange.«
    Pia und ich standen wie vom Donner gerührt da. Was geschah hier?
    Dann erhob sich der Professor, beugte den Kopf und griff sich in seine Augen. Als er wieder aufblickte, hatte er zwei kleine Haftschalen in der Hand. Ich schrie auf! Barkers Augen – Barkers wirkliche Augen – waren gelb, geheimnisvoll leuchtend und hatten ovale Pupillen. Die Augen eines Vampirs. Barker lachte, als er unsere entsetzten Gesichter sah, griff sich in den Mund und riss eine Art Gebiss von seiner oberen Zahnreihe. Die Eckzähne, die jetzt sichtbar wurden, waren klein und spitz. Reißzähne. Vampirzähne!
    »Ich bin Gregor«, sagte der Professor und deutete auf zwei Stühle. »Setzt euch, meine Schwestern.«
    Wir fielen fast in die Stühle, so überrascht und entsetzt waren wir.
    »Gregor«, flüsterte Pia ehrfurchtsvoll. »Es ist also wahr.«
    »Ja, es ist wahr«, sagte der Professor.
    »Ich bin Gregor, der letzte meiner Art. Der, der nicht existieren darf. Geschaffen von einer liebenden Frau. Vor vielen Jahrhunderten.«
    Ich konnte kein Wort sagen, so sehr überwältigte mich das, was ich erlebte. Ich hatte mich, ohne es zu wissen, einem anderen Vampir offenbart.
    Er sah mich an.
    »Dich, Ludmilla, hat mir der Himmel geschickt. Da standest du eines Tages vor meiner Tür. Eine blutjunge Vampirin, stark, schlau, aber ohnmächtig und ohne das Wissen. All die Jahre habe ich überlegt, wie ich mich gefahrlos einer Frau unserer Art nähern kann, und dann hat mir das Schicksal direkt eine ins Haus geschickt. So lange schon spiele ich die Rolle des alten Gelehrten, der Sinn für das Übersinnliche hat, aber du bist die erste, die auf meine Worte reagierte und sich mir offenbarte. Du, meine kleine Ludmilla. Jungfräulich und ahnungslos.«
    Endlich fand ich die Sprache wieder. »Aber warum haben Sie nie etwas gesagt? Warum das Versteckspiel?«
    »Ach, Ludmilla. Ich habe es genossen, mit dir zusammen zu sein. Mit dir die Geschichte unserer Ahnen zu durchforsten und dich behutsam zur Wahrheit zu führen. Aber ich wusste nie, wann die anderen Kontakt mit dir aufnehmen würden. Wann sie dich einweihen würden in all ihre absurden Gesetze, Rituale und Verbote. Ich wusste nicht, wann du mich verraten würdest, Ludmilla. Deshalb habe ich gewartet. Ich habe gewartet und beobachtet, wie du dich entwickelst, nachdem du in den Orden aufgenommen wurdest. Es war sehr vielversprechend. Du bist stolz, hast Kraft und Widerspruchsgeist. Du bist die Frau, auf die
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