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Schattenkampf

Titel: Schattenkampf
Autoren: John Lescroart
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Prolog
    2006
    An einem Mittwochabend Anfang Dezember stand Dismas Hardy an der schmalen dunklen Kirschholzlinie im hellen Parkettboden seines Büros und warf einen Dart. Es war der letzte von dreien, und sobald er den Pfeil losgelassen hatte, wusste er, dass er dort landen würde, wohin er gezielt hatte, im 20er Segment, in das er auch mit den beiden vorherigen getroffen hatte. Hardy war ein überdurchschnittlich guter Dart-Spieler - bei einem Turnier hätte ihn jeder gern in seinem Team gehabt -, und deshalb brach er wegen der drei Zwanziger nicht in Freudenstürme aus. Umgekehrt hätten allerdings ein oder gar zwei Fehlwürfe in einer Runde sein Stimmungsbarometer, das ohnehin schon bedenklich niedrig stand, noch stärker sinken lassen.
    Insofern spielte Hardy ein Spiel, bei dem es für ihn nichts zu gewinnen gab. Traf er ins Ziel, freute er sich nicht; verfehlte er es, ärgerte er sich gewaltig.
    Nach dem Wurf ging er nicht zur Scheibe, um die Darts wie bei den vorherigen dreißig Runden herauszuziehen, sondern atmete tief aus, ließ die Schultern sinken und nagte gedankenversunken an der Innenseite seiner Wange.
    Auf der anderen Seite der geschlossenen Tür, am Empfang,
begann das Telefon zu läuten. Es war allerdings schon lange nach Büroschluss und fast drei Stunden her, dass Phyllis, der alterslose Drache von Empfangsdame und Sekretärin, zu ihm hereingeschaut und sich verabschiedet hatte. Möglicherweise arbeiteten in einigen der anderen Büros noch Anwälte oder Assistenten an Schriftsätzen oder Recherchen - das war hier schließlich eine Anwaltskanzlei, in der die einzige gültige Währung die abrechenbare Stunde war -, aber im Großen und Ganzen war der Arbeitstag zu Ende.
    Trotzdem, obwohl nichts Dringendes anlag, blieb Hardy.
    Im Lauf der letzten zwanzig Jahre hatten sich die Mittwochabende den nahezu unantastbaren Status eines gemeinsamen Ausgeh-Abends erworben, an dem Hardy und seine Frau Frannie ihre zwei Kinder Rebecca und Vincent - zuerst mit einem Babysitter, dann allein - zu Hause ließen und zusammen essen gingen. Häufig trafen sie sich bei diesen Gelegenheiten zunächst im Little Shamrock, das etwa auf halbem Weg zwischen ihrem Haus in der 34th Avenue und der Kanzlei in Downtown lag und Hardy zusammen mit Frannies Bruder Moses McGuire gehörte. Dort genehmigten sie sich einen gepflegten Drink und zogen dann in ein Lokal von entsprechend größerer oder geringerer Kultiviertheit weiter - San Francisco hatte sie alle zu bieten - und nahmen wieder Fühlung miteinander auf. Oder versuchten dies zumindest.
    An diesem Abend hatten sie eigentlich vorgehabt, sich in Traci des Jardins Spitzenrestaurant Jardiniere zu treffen, das sie erst im vergangenen Jahr entdeckt hatten, als Jacob, einer der Söhne von Hardys Freund Abe Glitsky, aus Italien zurückgekehrt war und an mehreren Aufführungen in der direkt gegenüberliegenden Oper mitgewirkt hatte. Aber dann hatte Frannie um halb fünf in der Kanzlei angerufen und ihm
von Phyllis bestellen lassen, sie müsse leider absagen, weil bei einer ihrer Mandantenfamilien ein Notfall eingetreten sei.
    Hardy hatte zwar gerade mit einem Mandanten telefoniert, als Frannie anrief, aber normalerweise scheute er sich nicht, geschäftliche Gespräche zu unterbrechen, um mit seiner Frau zu sprechen. Das wusste Frannie, und das wiederum hieß, dass sie nicht mit ihm über das abgesagte Essen hatte reden wollen. Ihr Entschluss hatte unverrückbar festgestanden.
    Nach einer weiteren Minute der Reglosigkeit begann Hardy mit den Schultern zu kreisen und ging hinter seinen Schreibtisch. Er griff nach dem Hörer, wählte eine Nummer, hörte es anläuten, wartete.
    »Halli-hallo.«
    »Bist du jetzt vollkommen übergeschnappt?«, sagte Hardy. »Meldest du dich neuerdings immer so? ›Halli-hallo‹?«
    »Na ja, klingt doch irgendwie lockerer, nicht so bierernst. Halli-hallo. Was hast du dagegen?«
    »Ich fand es besser, wenn du dich bloß mit Glitsky gemeldet hast.«
    »Bei einer Dumpfbacke wie dir wundert mich das nicht im Geringsten. Treya hat mir klargemacht - und sie hatte wie immer Recht -, dass es etwas mürrisch, um nicht zu sagen unfreundlich rüberkommt, wenn ich zu Hause ans Telefon gehe und meinen Namen in den Hörer knurre.«
    Groß gewachsen, breitschultrig, mütterlicherseits schwarz - sein Vater Nat war Jude - war Glitsky zeit seines Lebens Polizist gewesen und hatte sich zu seinem Selbstschutz eine Persona zugelegt, die man, vorsichtig ausgedrückt, als kurz
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