Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin

Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin

Titel: Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin
Autoren: Kester Schlenz
Vom Netzwerk:
sich. Links oder rechts? Warum stand hier kein Schild? Die Stimmen hinter mir wurden immer deutlicher und lauter. Dann spürte ich es – ein ka lter Luftzug von links. Dort musste die Schleuse sein. Ein Unfallwagen. Der Weg nach draußen. Ich rannte los. Ein Pfleger kam mir entgegen. »Muss er kotzen?« fragte er nur und sah mir lachend hinterher. Dann endlich sah ich den Nachthimmel. Eine Rampe führte hinunter zu den Unfallwagen. Zwei davon standen ohne Besatzung da. Ich machte mir nicht die Mühe, sie zu suchen, und schob den Rollstuhl die Rampe hinunter. Schon spürte ich die Kühle der Nachtluft. Dann ertönte hinter mir eine männliche Stimme: »Hey, Mädchen. Andersrum. Hier bringen wir die Leute rein, nicht raus. Da vorn sind nur die Straße und der Park.«
    Ich erstarrte und drehte mich langsam um. Es war offensichtlich einer der Krankenwagenfahrer, der mich bei meiner wilden Flucht beobachtet haben mu sste. Er kam gemächlichen Schrittes näher. Ein großer Mann, übergewichtig und mit rotem Gesicht. In der Hand eine Zigarette. Mein Körper straffte sich. Plötzlich ertönte eine Stimme von drinnen: »Hey, Ben, hilf mir mal.«
    Der Mann blickte mich kurz kopfschüttelnd an und ging dann zurück ins Gebäude.
    Ich hastete weiter.
    Wo stand unser Auto? Ich hatte durch das Herumgeirre im Innern des Krankenhauses jeglichen Orientierungssinn verloren. Unschlüssig stand ich in der Dunkelheit. Dann besann ich mich auf meine Fähigkeiten, konzentrierte mich und lauschte den Geräuschen der näheren Umgebung. Straßenverkehr, Musik, eine Uhr, die zehn schlug. Das war es! Diese Uhr hatte ich vorhin am Haupteingang gesehen. Dort, in dieser Richtung mu sste der Wagen stehen. Hastig schob ich Michael weiter. Ich wusste nicht einmal, ob er noch lebte. Und dann, hinter der nächsten Mauer, sah ich den Haupteingang und davor den großen Parkplatz. Dort stand das Taxi! Endlich.
    Nach zwanzig Sekunden war ich da. Barker und ich legten Michael, so behutsam es ging, auf die hintere Sitzbank zu Linda und fuhren los. Wie viel Zeit uns wohl blieb, bis Pia das Gewölbe erreichte? Wie viel Zeit, bis die Polizei die Entführung eines Kollegen bemerkte und die Ausfallstraßen sperrte?
    Ich verdrängte die bangen Gedanken, und wir fuhren zügig, aber nicht auffällig schnell weiter. Die Karte sagte uns, da ss wir uns in nördlicher Richtung halten mussten. Michael lag bewegungslos hinten. Ich nahm seine Hand. Noch lebte er. Noch.

35 - BLUT
    Wir fuhren, so schnell es ging, aus der Stadt hinaus. Sobald Michaels Verschwinden bekannt werden würde, mussten wir mit Straßensperren rechnen. Doch wir kamen problemlos bis zu einer der großen Ausfallstraßen in nördlicher Richtung. Es herrschte wenig Verkehr. Die Straße war nur spärlich beleuchtet. Michael lag auf dem Rücksitz wie ein Toter. Er bewegte sich nicht. Immer wieder beugte ich mich nach hinten und berührte ihn sanft mit einer Hand. Ich spürte sein noch unruhig flackerndes Leben, wusste aber nicht, ob er den Weg bis zu dem geheimnisvollen Felsen überleben würde. Linda schlief tief und fest.
    Noch fast hundert Kilometer.
    Die Fahrt durch die Dunkelheit war bedrückend monoton. Ich hatte Angst. Ich zweifelte. Es war Zeit für mich, Bilanz zu ziehen.
    Ich hatte geglaubt, da ss ich mit Leib und Seele ein Wesen der Nacht geworden war, nicht ohne Moral, aber letztendlich weit von dem entfernt, was ich früher gefühlt oder gedacht hatte. Aber das war Unsinn. Ich war anders geworden. Brutaler, geschickter, härter. Aber der Mensch in mir, das Wesen, das lieben und geliebt werden wollte, hatte doch gesiegt. Ich war bereit, alles für Michael zu opfern. Auch an Pia und ihren Verrat musste ich denken. Sie hatte mich tief enttäuscht, und doch konnte ich sie nicht hassen. Ich hätte ahnen müssen, für welche Seite sie sich entscheiden würde.
    Nach zwei Stunden endlich kamen wir in die Nähe unseres Ziels. Der Felsen des Vlad lag inmitten eines ausgedehnten Waldgebietes. Wir folgten einem Schild und fuhren schließlich auf einer holprigen, nicht asphaltierten Straße mitten in die Wildnis hinein. Aus Gregors Erzählungen wu sste ich, dass die bizarre Felsformation eine beliebte Sehenswürdigkeit war, die bei gutem Wetter gern als Ziel ausgedehnter Waldspaziergänge diente. Er hatte aber auch berichtet, dass sich zahlreiche Gerüchte um den Felsen rankten. Es hieß, er sei ein uralter heidnischer Begräbnisplatz und dass nächtliche Spaziergänger dort schon seltsame Dinge gesehen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher