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Nacht über der Menschheit

Nacht über der Menschheit

Titel: Nacht über der Menschheit
Autoren: Robert Silverberg
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als er plötzlich wieder die nackte Naomi von heute morgen am Fluß vor seinem geistigen Auge hatte. Er sah die runden Brüste, ihre festen Schenkel vor sich. Meine Nichte! Fünfzehn! Gott helfe mir! Beruhigend fuhr er ihr mit der Hand über den Rücken. Ihre Kleidung war nur dünn, ihr Körper nur zu deutlich spürbar.
    Grob warf er sie zu Boden.
    Sie rollte herum, legte eine ihrer Hände über ihren Mund, als er sich auf sie fallen ließ. Dann schrie sie, schrill und durchdringend, während sein Körper sie zu Boden drückte. Ihre schreckgeweiteten Augen verrieten deutlich, daß sie befürchtete, er werde sie vergewaltigen – aber er hatte etwas anderes im Sinn. Mit einem Ruck drehte er sie auf den Bauch, griff ihre rechte Hand und riß hinter ihrem Rücken den Arm nach oben. Dann zerrte er sie in eine sitzende Stellung.
    »Steh auf«, sagte er. Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, riß er ihre Hand noch höher. Sie stand auf.
    »Jetzt geh los, hinüber zum Wagen. Ich breche dir den Arm, wenn du nicht gehorchst.«
    »Was hast du vor?« fragte sie, dabei fast unhörbar flüsternd.
    »Zurück zum Wagen«, wiederholte er. Wieder verdrehte er ihr den Arm. Sie keuchte vor Schmerz – aber dann ging sie los.
    Bei dem Wagen ließ er sie nicht los, sondern griff mit der freien Hand zum Kommunikator und rief Leitfried im Info-Zentrum an.
    »Was ist da los gewesen, Zen? Wir haben das meiste beobachten können, und ...«
    »Es ist zu kompliziert zu erklären. Das Mädchen hängt sehr an den Bäumen, kurz gesagt. Schicken Sie ein paar Roboter her, die sie abholen sollen.«
    »Du hast mir ein Versprechen gegeben«, sagte Naomi.
    Kurz darauf erschienen die Roboter. Mit ihren stählernen Fingern hielten sie Naomi sicher im Griff, während sie sie zu ihrem Fahrzeug brachten und dann mit ihr ins Verwaltungsgebäude fuhren. Als sie verschwunden waren, setzte Holbrock sich einen Moment neben den Sprühwagen, um etwas Ruhe zu finden und seine Gedanken zu ordnen. Dann kletterte er wieder auf den Wagen.
    Den ersten Schuß mit der Fusionskanone feuerte er auf Alkibiades.
     
    Es dauerte etwas länger als drei Stunden. Als er fertig war, war der Sektor C nur noch ein verbranntes Feld, und ein breiter, toter Gürtel erstreckte sich vom äußeren Rand der Zerstörungen bis zum nächsten gesunden Gehölz. Es würde eine Weile dauern, bis er wußte, ob der Kampf Erfolg gehabt hatte – aber er hatte sein Bestes getan.
    Während er zurück zum Verwaltungsgebäude fuhr, beschäftigte sich sein Gehirn weniger mit der schrecklichen Arbeit, die er hatte verrichten müssen als mehr mit dem, was er gefühlt hatte, als Naomis Körper gegen seinen gepreßt war; und er dachte auch an das, was ihm durch den Kopf gegangen war, als er sie zu Boden geschleudert und sich darübergeworfen hatte. Ein Frauenkörper, ja – aber eben noch ein Kind. Immer noch ein Kind, das seine Haustiere liebte, das noch nicht imstande war einzusehen, daß es in der Wirklichkeit notwendig war, abzuwägen zwischen dem Notwendigen und dem, was wünschenswert ist. Und jeder tat da nur sein Bestes. Was hatte sie heute in Sektor C gelernt? Daß das Universum oftmals nur den brutalen Weg offen ließ? Oder einfach nur, daß ihr Onkel, den sie verehrte, zu Verrat und Mord fähig war?
    Man hatte ihr ein Beruhigungsmittel gegeben, aber sie war wach, als er ihren Raum betrat. Sie zog die Bettdecke bis zum Hals hoch, als sie ihn sah. Ihr Blick war kalt und trotzig.
    »Du hattest es mir versprochen«, sagte sie bitter. »Und dann hast du mich hereingelegt.«
    »Ich mußte die anderen Bäume retten, Naomi. Du wirst lernen, das zu verstehen.«
    »Ich habe nur gelernt, daß du mich belogen hast, Zen.«
    »Es tut mir leid. Vergibst du mir?«
    »Geh zum Teufel«, sagte sie – und diese Worte, die man sonst nur aus dem Munde von Erwachsenen hörte, wirkten von ihr noch um einige Grade kälter.
    Holbrock hielt es nicht mehr bei ihr aus. Er ging hinaus, nach oben, ins Info-Zentrum zu Fred Leitfried. »Es ist alles vorbei«, sagte er leise.
    »Sie haben es wie ein Mann gemacht, Zen.«
    »Ja, ja.«
    Auf den Bildschirmen sah er noch einmal zu dem verbrannten Sektor hinüber. Er spürte wieder Naomis Wärme an seinem Körper. Er sah ihre trotzigen Augen. Die Nacht würde kommen, die beiden Monde würden wieder ihren Tanz am Himmel aufführen, die Sternbilder, an die er sich nie ganz gewöhnt hatte, würden weiterleuchten. Er würde wieder und wieder mit ihr sprechen, würde versuchen, ihr
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