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Nacht über der Menschheit

Nacht über der Menschheit

Titel: Nacht über der Menschheit
Autoren: Robert Silverberg
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ihre Stämme klopfte und ihnen sagte, was für nette Kerle sie doch seien. Jetzt aber hatte er keine Zeit für solche Dinge.
    Fünfzehn Minuten später war er am nördlichen Ende seines Besitzes, am Rand von Sektor C. Er parkte den Sprühwagen auf einer Bodenwelle, von der aus man das Gehölz übersehen konnte – von hier aus war jeder Baum dieses Gebietes mit der Fusionskanone zu erreichen. Aber jetzt noch nicht, dachte er.
    Er ging zu Fuß in den zum Untergang verurteilten Abschnitt hinein.
    Naomi war nirgends zu sehen – er mußte sie suchen, bevor er das Feuer auslösen konnte. Und noch davor mußte er sich von einigen verabschieden. Holbrock lief den Hauptweg dieses Sektors entlang. Wie kühl es hier war, selbst zur Mittagszeit. Wie herrlich duftete die lehmige Luft! Der Boden des Gehölzes war mit Früchten übersät – in den letzten zwei Stunden waren Dutzende herabgefallen. Holbrock nahm eine auf. Sie war reif – mit einer geübten Handbewegung öffnete er sie und führte den breiigen, fleischigen Inhalt an seinen Mund. Der volle, reife, süße Saft tropfte in seinen Mund. Holbrock probierte gerade soviel, um zu wissen, daß der Saft erstklassig war. Die genossene Menge reichte noch lange nicht aus, um bei ihm Halluzinationen hervorzurufen, sie sorgte aber doch für eine leichte Euphorie, die ihn das, was er bald zu tun hatte, leichter ertragen ließ.
    Er sah hinauf zu den Bäumen. Sie hatten ihre Äste eingezogen, erschienen ihm mißtrauisch und abwartend.
    »Wir haben Ärger, Freunde«, sagte Holbrock. »Du, Hektor, weißt es. Hier grassiert eine Krankheit – ihr spürt sie in euch. Es gibt keine Möglichkeit, euch zu retten. Ich kann nur hoffen, die Bäume, die noch nicht befallen sind, zu retten, die, die noch keinen Rost haben. Okay? Habt ihr verstanden, Plato, Cäsar? Es kostet euch nur ein paar Wochen eures Lebens, aber es kann Tausende andere Bäume retten.«
    Ein ärgerliches Rascheln in den Ästen. Alkibiades zog verächtlich seine Äste an sich. Hektor, aufrecht und treu, bereitete sich auf die bittere Medizin vor. Sokrates, geknickt und völlig außer Form, schien sich ebenfalls damit abgefunden zu haben. Schierlingsbecher oder Feuer – wo war der Unterschied? Cato, ich schulde Asklepius noch einen Hahn. Cäsar schien wütend zu sein; Plato fing an, sich zu ducken. Sie hatten alle begriffen, jeder von ihnen. Holbrock lief zwischen ihnen umher, klopfte ihnen auf die Stämme, beruhigte sie. Er hatte seine Plantage mit diesem Gehölz begonnen, er hatte geglaubt, daß die Bäume ihn überleben würden.
    »Ich will nicht lange reden«, sagte er dann. »Mir bleibt nur, mich zu verabschieden. Ihr wart gute Kerle, habt ein sinnvolles Leben gelebt, und jetzt ist eure Zeit vorbei. Glaubt mir, das tut mir verdammt weh. Das ist alles. Ich wünschte, ich könnte es verhindern.« Er warf einen letzten Blick über das Gehölz. »Schluß meiner Rede. Auf Wiedersehn.«
    Dann wandte er sich um und ging langsam zum Sprühwagen zurück. Ein Knopfdruck verband ihn mit dem Info-Zentrum, wo Leitfried sich meldete. »Wissen Sie, wo das Mädchen jetzt steckt?«
    »Einen Sektor weiter südlich, von Ihnen aus gesehen. Sie füttert die Bäume.« Er schaltete das Bild auf Holbrocks Bildschirm.
    »Schalten Sie die Sprechanlage ein, ja?«
    Dann sprach Holbrock ins Mikrophon. »Naomi? Ich bin es, Zen.«
    Sie blieb mitten in der Bewegung stehen und wandte sich um. »Einen Augenblick«, sagte sie. »Katharina die Große ist hungrig, und sie läßt nicht zu, daß ich sie übersehe.« Das Fleischstück flog in die Luft, wurde ergriffen und verschwand im Maul eines Baumes. »Okay«, sagte Naomi. »Was gibt es?«
    »Ich halte es für besser, wenn du ins Verwaltungsgebäude zurückgehst.«
    »Ich muß noch viele Bäume füttern.«
    »Das kannst du am Nachmittag tun.«
    »Zen, was ist denn los?«
    »Ich muß ein paar Arbeiten durchführen und möchte nicht, daß du im Gehölz bist, wenn ich es tue.«
    »Wo bist du jetzt?«
    »Bei C.«
    »Vielleicht kann ich dir helfen, Zen. Ich bin im Nachbarsektor im Süden. Ich komme sofort hinüber.«
    » Nein. Geh zurück ins Haus.« Die Worte hallten als kalter Befehl durch die Bäume. So hatte Holbrock noch nie mit dem Mädchen gesprochen. Sie schaute verwirrt drein, ging dann aber gehorsam zu ihrem Wagen und rollte davon. Holbrock sah ihr auf dem Bildschirm nach, bis sie außer Sichtweite war.
    »Wo ist sie jetzt?« fragte er Leitfried.
    »Sie kommt hierher zurück – ich sehe sie auf der
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