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Die Angst des wei�en Mannes

Titel: Die Angst des wei�en Mannes
Autoren: Peter Scholl-Latour
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PRÄLUDIU M
Wachablösun g
    Vor seinem Besuch im Konzentrationslager Buchenwald am 5. Juni 2009, so wird berichtet, hat Barack Obama einen politischen Dia log mit Angela Merkel geführt. Eine herzliche Atmosphäre sei da bei nicht aufgekommen. Es heißt, der amerikanische Präsident habe die Kanzlerin am Ende mit einem Thema überrascht, das im vereinbarten Austausch nicht vorgesehen war. »Warum sind Sie gegen einen Beitritt der Türkei zur Europäischen Union?« soll Obama abrupt gefragt haben. Relata refero. Es fällt nicht schwer, sich die Argumente der deutschen Kanzlerin vorzustellen, mit der sie ihre Ablehnung und die der meisten Europäer begründete. Die Türkei, so mag sie entgegengehalten haben, weise noch erhebliche Defizite in Sachen Demokratie und Menschenrechte auf. Der Zy pern-Disput sei nicht bereinigt. Die Türkei verhalte sich repressiv gegenüber ihren ethnischen und konfessionellen Minderheiten. Für das Kurdenproblem sei trotz einiger dürftiger Zugeständnisse keine wirkliche Regelung in Sicht. Die Europäische Union sei zu dem keineswegs begeistert von der Perspektive, im Fall eines tür kischen Beitritts unmittelbarer Nachbar des Kaukasus, Irans sowie Mesopotamiens zu werden und unweigerlich in deren Querelen verwickelt zu sein.
    Es wäre taktlos gewesen, einem amerikanischen Partner gegenüber, dessen Vater unter dem britischen Kolonialismus gelitten hatte und dessen Frau die Nachfahrin westafrikanischer Sklaven ist, die kulturelle oder gar ethnische Einzigartigkeit des Abendlandes zu betonen,die es gegenüber einer massiven turanischen Zuwanderung aus Anatolien zu bewahren gelte. Selbst ein Verweis auf die Unvereinbarkeit zwischen der christlichen Ursubstanz Europas – die die Kanzlerin, obwohl sie Vorsitzende einer christlichen Par tei ist, ohnehin kaum erwähnt – und der spektakulären Rückwen dung der post-kemalistischen Türkei zur Lehre des Propheten Mohammed wäre unangebracht gewesen. Barack Obama bekennt sich zwar in aller Form zum christlichen Glauben, doch die musli mische Religionszugehörigkeit seines Vaters reiht ihn laut korani schem Gesetz unwiderruflich in die Reihen der islamischen Umma ein.
    Nach dem Sturm der Begeisterung, den die Wahl Barack Hus sein Obamas zum mächtigsten Mann der Welt in Europa, mehr noch als in Amerika, ausgelöst hat, kommen wir nicht umhin fest zustellen, daß die Beziehungen zwischen der Alten und der Neuen Welt nicht mehr die gleichen sein werden. An infamen Angriffen, an tückischen Verleumdungen wird es in Zukunft nicht fehlen. Es gibt zu viele reaktionäre US Citizens, die sich mit der Präsenz eines schwarzen Mannes im Weißen Haus nicht abfinden. Die rassisti schen Vorurteile, die William Faulkner vor gar nicht so langer Zeit in der abgrundtiefen Düsternis seiner Romane aus dem »tiefen Süden« schilderte, sind vielerorts noch präsent. Die Dämonen war ten auf ihre Entfesselung. Schon melden sich Stimmen zu Wort, die die amerikanische Staatsangehörigkeit Obamas in Frage stellen und mit der Behauptung auftreten, er sei in Indonesien als Muslim aufgewachsen.
    Selbst in europäischen Gazetten kommt plötzlich – vermutlich als Reaktion auf die grandiose Rede, die er in Kairo hielt – der Vorwurf auf, dieser »Commander-in-Chief« gehe nicht mit der gebotenen militärischen Gewalt gegen die Islamische Republik Iran vor, er habe durch seinen Verzicht auf den Ausbau eines Raketenschirms in Polen den Westen der nuklearen Bedrohung durch Schurken staaten des Orients ausgeliefert, und gegenüber Israel neige er einer propalästinensischen Haltung zu.
    Das Schicksal Martin Luther Kings hängt als düstere Mahnung überdiesem Mann, der endgültig der Erkenntnis zum Durchbruch verhalf, daß die politische Ausrichtung der USA nicht mehr durch eine Bevölkerungsminderheit definiert wird, die sich rühmte, »White, Anglo-Saxon and Protestant« zu sein. Welches auch immer das Schicksal des jetzigen Präsidenten sein mag, hier ist ein Deich gebrochen. Das Antlitz der Vereinigten Staaten wird zunehmend von der Masse der Latinos – in der Mehrheit spanisch-indianische Mestizen –, der Afro-Americans und einer wachsenden Zahl von Asiaten gestaltet werden. Die einst mißachteten Katholiken bilden bereits die bei weitem stärkste christliche Konfession.
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    Es soll nicht der Irrtum aufkommen, das vorliegende Buch beschäftige sich vorrangig mit Amerika. Auch die Probleme der Europäischen Union sind nicht das Thema. Dieser Reisebericht ist der
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