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Die Angst des wei�en Mannes

Titel: Die Angst des wei�en Mannes
Autoren: Peter Scholl-Latour
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Engagement wahrnimmt. Es ist nicht das erste Mal, daß ich in entlegenen Krisenzonen die Betreuung durch die GTZ schätze. Dabei stellte ich stets fest, daß diese Experten des Wieder aufbaus auf möglichst großen Abstand zu den im Land operieren den Streitkräften oder Okkupationstruppen bedacht sind. Das gilt sogar für die Bundeswehr in Afghanistan. Die GTZ zieht es vor, ohne kompromittierenden Waffenschutz zu arbeiten. In Ost-Timor kommt dem verantwortlichen Projektleiter, Günter Kohl, ein weiterer Vorteil zugute. Sämtliche Mitarbeiter haben sich in den ehemaligen portugiesischen Besitzungen Afrikas oder in Bra silien aufgehalten. Sie beherrschen die singende, leicht näselnde Sprache Lusitaniens, wie die iberische Provinz des Imperium Ro manum unter Augustus genannt wurde. Das Portugiesische ist auf Timor-Leste neben der malayo-polynesischen Sprache Tetum als offizielle Amtssprache etabliert worden.
    Während wir im klimatisierten Empfangssalon unser Erkundungsprogramm für die kommende Woche besprechen, bietet sich plötzlich ein überraschendes, irgendwie groteskes Schauspiel. Eine Ministerinder Regierung von Ost-Timor – die Kabinettsmitglieder sind zahlreich und wechseln ständig – ist mit einem Sonderjet eingetroffen und wallt im Vollgefühl ihrer Bedeutung an uns vorbei. Eine ganze Rotte von muskulösen Leibwächtern, das Schnellfeuergewehr im Anschlag, umringt die dunkelhäutige, europäisch gekleidete Frau, als lägen die Attentäter schon bereit.
    Noch bevor die unerträgliche, schwüle Mittagshitze sich über die Bucht von Dili senkt, unternehmen wir eine erste Besichtigung. Dieser Verwaltungssitz war wohl niemals mit jenen prachtvollen ur banistischen Leistungen zu vergleichen, die die Portugiesen im an golanischen Luanda, im mosambikanischen Lourenço Marques hinterließen. Doch was wir jetzt entdecken, ist ein einziges Trüm merfeld, ein Ort totaler Verwüstung. Mit Ausnahme von ein paar ausländischen Botschaften und UN-Unterkünften, die – zu Festun gen ausgebaut – unter dem Schutz australischer Fallschirmjäger ste hen, sind sämtliche Behausungen und Amtsgebäude einem Orkan der Vernichtung anheimgefallen. Seit der letzten Woge des kol lektiven Amoklaufs im Mai 2006, als sich der schwelende Banden-und Bürgerkrieg zu einem menschlich inszenierten »Tsunami« stei gerte, ist es, so weit das Auge reicht, eine trostlose Ansammlung von Ruinen.
    Die Menschen leben in armseligen Notverschlägen und können sich glücklich schätzen, wenn sie dort Schutz vor den Wassergüs sen der Regenzeit finden. Noch erbärmlicher sind die Ansammlun gen von Strohhütten am Stadtrand. Horden von Flüchtlingen ha ben hier Zuflucht gesucht, als das Töten, die Vergewaltigungen, die Plünderungen sich auch in den Dörfern des Landesinneren austobten.
    Die Freunde von der GTZ haben eine Skizze zur Hand, einen Stadtplan, auf dem die UN-Security die unsicheren Viertel eingezeichnet hat. Da schieben sich die schraffierten »hot zones« und die mit roten Sternen markierten »hot spots« – Punkte akuter Gefährdung durch kriminelle Gangs und unkontrollierbare Rebellen – bis an das Diplomatenviertel und die katholische Kathedrale heran, die wie durch ein Wunder der Zerstörung entging. Unversehrt blieben ebenfallsdie stattlich gemauerten Gräberreihen des Friedhofs. Dort war der entfesselte Mob davor zurückgeschreckt, die Rachegeister der Toten zu wecken. Immerhin wurde der alte portugiesische Gouverneurspalast, der mit massiven weißen Mauern und einem wuchtigen Säulenportal koloniale Größe vortäuschen sollte, als Unterkunft diverser Behörden wieder restauriert. In diesem Umfeld mutet es tröstlich an, daß die hohe, schneeweiße Statue der Jungfrau Maria, der Immaculata, unangetastet blieb.
    Es bewegen sich wenig Menschen in den öden Straßen von Dili. Jede gewerbliche Tätigkeit scheint erloschen. Wir suchen den Marktplatz auf, eine endlose Ansammlung ärmlicher Stände, wo erschlaffte Händler vergeblich nach Kunden Ausschau halten. So verfault das Überangebot prächtiger Tropenfrüchte in der Sonne. Ich verweile vor der Anhäufung halbzerfetzter Textilien, Ausschuß jener mildtätigen Spenden aus Europa, die am hiesigen Bestim mungsort für ein paar Centavos verhökert werden, soweit sie nicht sogar den ausgepowerten Timoresen zu schäbig erscheinen.
    In Reiseführern wird die handwerkliche Begabung der eingebo renen Frauen erwähnt, die auf ihren Webstühlen nach überliefer ten Mustern
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