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Nacht über der Menschheit

Nacht über der Menschheit

Titel: Nacht über der Menschheit
Autoren: Robert Silverberg
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die anderen alles, was ich besitze. Sie tragen die Pest in sich. Geh zurück ins Haus und schließ dich irgendwo ein, bis es vorbei ist.«
    »Ich werde nicht zulassen, daß du sie umbringst!« Trotz der Tränen in ihren Augen klang ihre Stimme fest.
    Aufgebracht ergriff Holbrock das Mädchen bei den Schultern, schüttelte sie und stieß sie vom Wagen. Sie stolperte rückwärts, fiel aber geschmeidig zu Boden, ohne sich zu verletzen. Holbrock sprang hinunter. »Verdammt, zwing mich nicht, dich zu schlagen, Naomi. Das ist nicht deine Sache. Ich muß diese Bäume ausbrennen, und wenn du nicht aufhörst, dich einzumischen ...«
    »Es muß eine andere Möglichkeit geben. Du läßt dich von den anderen Männern verrückt machen, Zen, nicht wahr? Sie haben Angst, daß die Erkrankung sich ausbreitet, und deshalb verlangen sie von dir, deine Bäume zu verbrennen. Du denkst nicht einmal darüber nach, überlegst, ob es andere Möglichkeiten gibt, sondern fährst einfach hier hinaus und bringst intelligentes, empfindsames Leben um. Sie sind liebenswerte ...«
    »Bäume«, sagte er. »Das ist doch unglaublich, Naomi. Zum letzten Mal ...«
    Statt einer Antwort sprang sie auf den Sprühwagen und klammerte sich an die Mündung der Fusionskanone. »Wenn du weiterfeuerst, mußt du durch mich hindurchschießen!«
    Holbrock war klar, daß nichts in der Welt sie jetzt noch dazu bewegen konnte, herunterzukommen. Sie war vollständig in ihrem Traumland aufgegangen, sah sich vielleicht als die Jeanne d'Arc der Saftbäume, die das Gehölz gegen einen Angriff der Barbaren schützen mußte. Noch einmal versuchte er es im Guten mit ihr, und noch einmal verlangte sie von ihm, sich eine andere Methode einfallen zu lassen. Mit allem Nachdruck erklärte er ihr noch einmal, daß es unmöglich sei, diese Bäume zu retten, und mit aller Irrationalität beharrte sie darauf, daß es noch einen anderen Weg geben müßte. Er fluchte, er schimpfte auf sie, nannte sie ein hysterisches Weib, er bettelte und schrie, er erteilte ihr Befehle – sie klammerte sich weiter an der Waffe fest.
    »Ich kann nicht weiter meine Zeit verschwenden«, sagte er schließlich. »Das muß alles innerhalb der nächsten Stunden erledigt sein, sonst ist die ganze Plantage hinüber.« Er zog seinen Strahler aus dem Halfter, entsicherte ihn und hielt ihr die Waffe unter die Nase. »Komm da herunter«, sagte er eisig.
    Sie lachte nur. »Du glaubst doch nicht, daß ich erwarte, daß du auf mich schießt«, sagte sie.
    Natürlich hatte sie recht. Ohnmächtig stand er da und fluchte, hilflos, am Ende seiner Möglichkeiten. Der Wahnsinn ging immer weiter: Seine Drohung war ein Witz gewesen, den sie sofort durchschaut hatte. Holbrock stieg zu ihr hinauf auf den Wagen, zerrte an ihr, versuchte, sie hinunterzuschubsen.
    Sie war kräftig und sein Halt auf dem Fahrzeug nicht besonders gut. Es gelang ihm, sie von der Waffe wegzubekommen, aber nicht vom Wagen hinunter. Er wollte ihr nicht weh tun, und so blieb er in diesem Kampf nur zweiter. Ihre Erregung, ihre Wut verliehen ihr zusätzliche Kräfte – sie schien nur noch aus Ellbogen, Fingernägeln und Knien zu bestehen. Hatte er sie endlich einmal im Griff, stellte er fest, daß er sich an ihrer Brust festhielt, und verlegen und verwirrt ließ er sie fahren. Sie wich ihm immer wieder aus – er verfolgte sie, griff sie, und endlich gelang es ihm doch, sie an den Rand der Ladefläche des Wagens zu bekommen. Sie sprang hinunter, landete federnd auf dem Boden und rannte davon – hinein in das Gehölz.
    Holbrock folgte ihr – es dauerte einen Augenblick, bis er entdeckte, in welche Richtung sie lief. Dann fand er sie – sie klammerte sich an Cäsars Stamm und starrte schockiert hinüber zu den Aschehaufen, die einmal Sokrates und Hektor gewesen waren.
    »Mach weiter«, sagte sie. »Brenn das ganze Gehölz nieder. Du mußt mich mitverbrennen!«
    Holbrock stürzte sich auf sie – sie tat einen Schritt zur Seite und rannte vor ihm weg, hinüber zu Alkibiades. Er fuhr herum und versuchte erneut, sie zu greifen, verlor das Gleichgewicht und stolperte mit wedelnden Armen ein paar Schritte umher, verzweifelt nach einem Halt suchend. Dann fiel er um ...
    Plötzlich legte sich etwas Drahtiges, Zähes um seine Schultern.
    »Zen!« schrie Naomi. »Der Baum ... Alkibiades ...«
    In diesem Augenblick hatte Zen Holbrock keinen Boden mehr unter den Füßen. Alkibiades hatte ihn angehoben, und Holbrock sauste hinauf zur Krone des Baumes. Der Baum hatte
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