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Nacht über der Menschheit

Nacht über der Menschheit

Titel: Nacht über der Menschheit
Autoren: Robert Silverberg
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einige Schwierigkeiten mit dem Gewicht – aber dann griff noch eine Liane nach ihm, und Alkibiades hatte es leichter. Holbrock hing etwa vier Meter über der Erde.
    Fälle, in denen Bäume Menschen angriffen, waren äußerst selten. Bisher war es vielleicht fünfmal insgesamt geschehen – und die Menschen züchteten schon seit Generationen hier Saftbäume. In jedem Fall hatte der Mensch etwas getan, das der Baum als feindselig empfand – wie zum Beispiel das Entfernen eines kranken Baumes.
    Ein Mensch war ein ziemlich großer Happen für einen Saftbaum, lag vom Appetit her aber im Bereich des Möglichen.
    Naomi schrie, während Alkibiades sein Opfer höher hob. Holbrock hörte das Klatschen der Fänge des Baumes – das Maul des Baumes bereitete sich auf den dicken Brocken vor. Alkibiades, der eitle, der lebhafte, der unberechenbare Baum – ja, die Bezeichnungen paßten auf ihn. Aber war es bösartig, in Selbstverteidigung zu handeln? Alkibiades besaß einen starken Lebenswillen, außerdem hatte er das Schicksal von Hektor und Sokrates miterleben können. Holbrock sah hinauf zu den sich nähernden Fängen. So also muß ich enden, dachte er. Aufgefressen von einem meiner eigenen Bäume, meiner Freunde, meiner Haustiere. Geschieht mir recht, da ich so sentimental mit ihnen umgegangen bin. Sie sind Fleischfresser – Tiger mit Wurzeln.
    Alkibiades schrie.
    Gerade in dem Augenblick, als sich ein weiterer Fangarm des Baumes um seinen Körper rollen wollte, wurde er aus dem Würgegriff entlassen. Holbrock fiel aus etwa sechs Metern Höhe hinab – erst im letzten Augenblick hielt ihn der letzte Fangarm federnd auf – Holbrock schwebte knapp einen Meter über dem Boden. Als er wieder atmen konnte, sah er auf und erkannte, was geschehen war. Naomi hatte seinen Strahler aufgehoben, den er verloren hatte, als der Baum ihn ergriff, und hatte einen Fangarm abgebrannt. Jetzt zielte sie erneut – Alkibiades schrie ein zweites Mal auf; Holbrock spürte mehr als daß er es hörte, daß es in den Blättern über ihm rauschte. Er fiel zu Boden, rappelte sich wieder auf und setzte sich hin. Gott sei Dank hatte er sich nichts gebrochen. Naomi stand über ihm, ließ die Arme herunterhängen, in einer Hand noch den Strahler.
    »Bist du in Ordnung?« fragte sie ernüchtert.
    »Ein bißchen durchgeschüttelt«, sagte er. »Das ist alles.« Er erhob sich. »Ich stehe tief in deiner Schuld«, fügte er hinzu. »Eine Minute später, und ich wäre von Alkibiades zermalmt worden.«
    »Ich hätte fast zugelassen, daß er dich frißt, Zen. Er hat sich schließlich nur gewehrt. Aber ich konnte es nicht und schoß ihm die Fangarme ab.«
    »Ja, ich schulde dir viel.« Holbrock ging zwei Schritte auf sie zu. »Bitte«, sagte er. »Gib mir lieber den Strahler wieder, bevor du dir noch ein Loch in den Fuß brennst.« Er streckte eine Hand aus.
    »Einen Augenblick«, sagte sie plötzlich eiskalt. Sie trat einen Schritt zurück, als er näherkam.
    »Was ist denn?«
    »Treffen wir ein Abkommen, Zen. Ich habe dich gerettet, ja? Dafür läßt du jetzt die Bäume in Ruhe. Zumindest aber prüfst du nach, ob es nicht ein Spray oder so etwas gibt. Abgemacht?«
    »Aber ...«
    »Du schuldest mir viel, wie du sagst. Also bezahle mir auch etwas. Ich möchte von dir ein Versprechen, Zen. Wenn ich dich nicht befreit hätte, wärest du jetzt tot. Laß auch die Bäume leben.«
    Holbrock fragte sich, ob sie den Strahler gegen ihn verwenden würde.
    Er schwieg einige Minuten, wog seine Entscheidung sehr sorgfältig ab. Dann sagte er: »Also gut, Naomi. Du hast mich gerettet, und ich kann dir nicht verweigern, was du verlangst. Ich werde die Bäume nicht anrühren. Ich werde herausfinden, ob man sie mit etwas besprühen kann, das den Rost tötet.«
    »Meinst du das ehrlich, Zen?«
    »Ich verspreche es dir, bei allem, was heilig ist. Gibst du mir jetzt den Strahler?«
    »Hier«, sagte sie plötzlich und weinte. Dicke Tränen liefen über ihr Gesicht. »Hier, nimm ihn! O Gott, Zen, warum ist das alles so schrecklich?«
    Holbrock nahm ihr die Waffe ab und steckte sie weg. Plötzlich schien alle Kraft das Mädchen verlassen zu haben, alle Energie verbraucht. Sie stolperte in seine Arme, und er drückte sie an sich, spürte, wie sie zitterte. Er zitterte auch, weil ihre beiden festen Brüste sich an seinen Körper drückten. Eine ungeheure Welle überkam ihn, die er sofort als ungestümes Verlangen erkannte. Das ist etwas Schmutziges, dachte er beschämt. Er blinzelte,
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