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Nacht über der Menschheit

Nacht über der Menschheit

Titel: Nacht über der Menschheit
Autoren: Robert Silverberg
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Plantage noch blieb, nachdem die Schutzmaßnahmen ergriffen waren.
    Im Info-Zentrum schalteten er und Leitfried sämtliche Bildschirme ein. Holbrock nahm sich Sektor C vor. Er fütterte die Daten des Laborberichts in den Computer. »Das sind die befallenen Bäume«, sagte er und benutzte einen Lichtstift, um sie auf dem Bildschirm zu zeigen. »Vielleicht fünfzig Stück insgesamt.« Er zog einen größeren Kreis, der etwa achtzig oder hundert weitere Bäume umfaßte. »Was meinen Sie, Fred?«
    Der Distriktgouverneur nahm Holbrock den Stift ab und benutzte ihn selbst. Er zeichnete einen größeren Kreis, der fast die Peripherie des Sektors erreichte.
    »Das sind vierhundert Bäume«, sagte Holbrock.
    »Die müssen dran glauben – wieviel haben Sie insgesamt?«
    Holbrock zuckte die Schultern. »Vielleicht sieben- oder achttausend.«
    »Wollen Sie sie alle verlieren?«
    »Also gut«, gab Holbrock nach. »Sie wollen einen Schutzgürtel um den Infektionsherd legen ...«
    »Ja.«
    »Wozu das? Wenn das Virus jederzeit vom Himmel fallen kann, was soll dann ...?«
    »Reden Sie nicht so«, sagte Leitfried. Sein Gesicht wurde lang und länger, verkörperte alle Traurigkeit, Frustration und Verzweiflung des Universums. Er sah so aus, wie Holbrock sich fühlte. »Zen, Sie haben hier zwei Möglichkeiten. Sie können hinaus in das Gehölz gehen und alles abbrennen oder Sie können aufgeben und den Rost seine Arbeit vollenden lassen. Wenn Sie ersteres tun, besteht die Chance, daß Sie das meiste Ihres Besitzes retten, wenn Sie aufgeben, wird trotzdem alles niedergebrannt, zu unserem eigenen Schutz. Und dann machen wir nicht bei vierhundert Bäumen halt.«
    »Ich gehe schon«, sagte Holbrock. »Sorgen Sie sich nicht um mich.«
    »Ich sorgte mich nicht, wirklich nicht.«
    Leitfried setzte sich hinter die Monitor-Kontrollen, während Holbrock den Robotern Befehle gab und sich die Gerätschaften zusammensuchte, die er brauchte. Nach zehn Minuten war er fertig.
    »Da ist ein Mädchen im befallenen Sektor«, sagte Leitfried. »Ihre Nichte, ja?«
    »Naomi, ja.«
    »Hübsch. Wie alt ist sie – achtzehn, neunzehn?«
    »Fünfzehn.«
    »Eine verdammt gute Figur, Zen.«
    »Was macht sie jetzt?« fragte Holbrock. »Füttert sie noch die Bäume?«
    »Nein, sie hat sich unter einem davon hingelegt. Ich glaube, sie spricht mit ihnen. Vielleicht erzählt sie ihnen eine Geschichte? Soll ich den Ton einschalten?«
    »Nicht nötig. Sie macht gern ihre Spiele mit den Bäumen, wissen Sie; sie gibt ihnen Namen und bildet sich ein, daß sie Persönlichkeiten besitzen. Kinderkram.«
    »Klar«, sagte Leitfried. Ihre Blicke trafen sich kurz. Holbrock senkte den Blick. Die Bäume hatten Persönlichkeit, und jedermann im Saftgeschäft wußte es, und wahrscheinlich gab es nur wenige Züchter, die stärkere Kontakte zu ihren Bäumen hatten als er, es aber auch niemals anderen gegenüber zugeben würden. Kinderkram. Über so etwas sprach man nicht.
    Arme Naomi, dachte er.
    Holbrock ließ Leitfried im Info-Zentrum zurück und ging durch den Hinterausgang hinaus. Die Roboter hatten alles vorbereitet, wie er es angeordnet hatte – den Sprühwagen mit der Fusionskanone anstelle des Chemikalientanks. Zwei oder drei kleine Maschinen rollten noch herum und warteten darauf, daß er sie auf den Wagen schickte. Holbrock ignorierte sie aber und setzte sich selbst hinter das Armaturenbrett. Er aktivierte den Datenausstoß, und der kleine seitliche Bildschirm leuchtete auf. Aus dem Info-Zentrum über ihm winkte Leitfried ihm zu und zeigte ihm noch einmal mit dem Lichtstift das befallene Gebiet und die Schutzzone, die er gern darum hätte.
    Der Wagen rollte langsam auf die Gehölze zu.
    Inzwischen war es Mittag geworden – Holbrock schien es der längste Tag seines Lebens zu sein. Die Sonne, größer und mit einem stärkeren Stich ins Orange als die Sonne, unter der er geboren war, hing träge am Himmel und schien noch keine Lust zu haben, hinter den fernen Ebenen wieder unterzugehen. Der Tag war heiß, aber sobald er in ein Gehölz einfuhr, schützte die dichte Blätterdecke der Bäume ihn und erzeugte eine willkommene Kühle, die in die Fahrerkabine des Wagens hereinwehte. Seine Lippen waren trocken, hinter seinen Augen spürte er ein dumpfes Pochen im Kopf. Er steuerte den Wagen mit der Hand, nahm den Zufahrtsweg, der um Sektor A, D und G herumführte. Die Bäume, die ihn sahen, raschelten mit den Blättern. Sie wollten, daß er ausstieg und zwischen ihnen umherlief,
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