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0600 - Jenseits des Lebens

0600 - Jenseits des Lebens

Titel: 0600 - Jenseits des Lebens
Autoren: Werner Kurt Giesa
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Lis Bernardin hatte den kleinen Totenacker nie gemocht. Sie liebte das Leben, aber der Tod war ihr so unsagbar fern und fremd, daß sie nichts damit zu tun haben wollte. Ihr war immer unheimlich, wenn sie mit ihrer Großmutter zwischen den Grabreihen entlang gegangen war, wenn diese den Großvater besuchte.
    Der lag unter einer Marmorplatte, und auf der stand in großen Messingbuchstaben sein Name und Geburts- und Sterbetage.
    Lis konnte sich nie so recht vorstellen, wie es unter dieser Platte aussah. Ob da wirklich ein Mensch lag? Oder genauer gesagt, die Überreste eines Menschen?
    Für sie wäre es ebenso normal gewesen, wenn ihr jemand gesagt hätte: »Großvater ist hinter jener Wand begraben«, um dabei auf ein Portraitbild des Toten an der Wand zu zeigen.
    Wer tot ist, ist fort. So unendlich weit fort, daß man ihn nie mehr erreichen kann.
    So dachte Lis.
    Das Gedanken viel weiterreichen als der Arm und die Hand eines Menschen, das hatte Großmutter ihr nie richtig begreiflich machen können. Gedanken und Erinnerungen.
    Und jetzt war auch die Großmutter tot.
    Jetzt lag auch sie unter einem frischen Grabhügel, hier auf dem kleinen Friedhof, unweit der Kapelle.
    Lis hielt einen frischen Blumenstrauß in der Hand. Nicht, weil sie glaubte, Großmutter hätte noch etwas davon. Sie konnte sich als Tote aus dem Sarg heraus nicht mehr am Anblick der Blumen erfreuen. Lis war auch überzeugt davon, daß diese Blumen in einer Wohnung den Lebenden viel mehr Freude bereiten würden - sofern man überhaupt Freude dabei empfinden konnte, Blumen zu töten, indem man ihre Stengel abschnitt und sie in eine Vase mit Wasser stellte. Denn dort würden sie ihrer Wurzeln beraubt, so oder so in wenigen Tagen absterben und verwelken.
    Viel lieber sah Lis Blumen in ihrer natürlichen Umgebung, in der freien Natur, wo sie so herrlich wuchsen und blühten.
    Aber man erwartete von ihr, daß auch sie Blumen am Grab ihrer Großmutter niederlegte.
    »Hallo, Louise«, sagte Lis, als sie vor dem Grabhügel stand.
    »Siehst du, was ich hier für dich habe? Nein, du kannst es nicht sehen. Aber die anderen glauben, daß du es kannst. Sie denken, du liegst da unten und siehst durch das Holz deines Sarges und durch die Erde hindurch, was hier oben passiert. Na ja… hier sind die Blumen. Wenn vor Jahrtausenden bei den Sumerern ein König starb, brachte man ihm seinen ganzen Hofstaat mit ins Mausoleum. Man tötete die Menschen, weil sie dem König auch im Jenseits noch dienen sollten. Und wir? Wir töten immerhin die Blumen. Wozu das alles? Es gibt kein Jenseits. Tot ist tot. Auch du bist tot, Louise. Aus und vorbei. Ich wünschte, du würdest noch leben. Ich wünschte, du könntest dein Leben immer noch genießen. Aber es sollte nicht sein. Der verdammte Arzt, der die Operation verpfuscht hat…«
    Sie schluckte.
    Was rede ich hier eigentlich? dachte sie. Fange ich jetzt schon an zu spinnen? Sie kann mich doch gar nicht hören. Und wenn Pater Ralph es tausendmal von der Kanzel predigt - nach dem Tod gibt es nichts mehr. Der Körper verwest, und das war’s. Aus und vorbei. Narren, die glauben, es ginge danach weiter…
    Sie bückte sich, legte den Blumenstrauß zu den anderen und wandte sich um.
    Und schrie gellend auf, und der Schrei schien nicht mehr enden zu wollen.
    Denn wenn das Wirklichkeit war, was sie sah, dann zerstörte es annähernd 18 Jahre Leben, Denken, Erkennen und Wissen…
    ***
    Gevatter Tod spürte, daß sich etwas veränderte.
    Nicht zum ersten Mal, seit er auf dem Silbermond lebte, doch noch nie in solch schwerwiegender Form wie jetzt.
    Sein Problem war, daß er nicht erkennen konnte, worin diese Veränderung bestand. Noch nicht…
    Es waren nur vage Eindrücke, die seine Seele berührten und die ihm verrieten, daß etwas falsch war.
    Er trat aus dem Organhaus ins Freie.
    Sein Blick schweifte über das Panorama der Ansiedlung.
    Andere hätten sie vielleicht Stadt genannt, aber Gevatter Tod konnte keine städtischen Strukturen erkennen. Gut, es gab Straßen, aber die Organhäuser waren so weiträumig verteilt, sie paßten sich harmonisch in eine blühende Naturlandschaft ein und erweckten keinesfalls den Eindruck des Künstlichen.
    Die Silbermond-Druiden, die diese Organhäuser vor langer, langer Zeit hier wachsen ließen, hatten sehr wohl gewußt, was sie taten. Sie hatten diese ›Stadt‹ geschaffen.
    Gevatter Tod hatte einst in einer anderen Welt gelebt. Die Erinnerungen daran waren nur undeutlich. War es die Weltenschlange
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