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Nacht über der Menschheit

Nacht über der Menschheit

Titel: Nacht über der Menschheit
Autoren: Robert Silverberg
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Frucht obszön. Naomi hatte nie etwas über die Form der Früchte gesagt oder war niemals deshalb in Verlegenheit geraten. Zuerst hatte er es ihrer Unschuld oder Schüchternheit zugeschrieben, aber seit er sie besser kannte, hatte er den Verdacht, daß sie ihm gekonnt vorspielte, diese Laune der Natur nicht mit solchen Gedanken in Verbindung zu bringen, um seine Gefühle nicht zu verletzen. Seit er sie als Kind betrachtete, benahm sie sich taktvoll kindisch, vermutete er; die faszinierende Vielschichtigkeit seiner Interpretation ihres Verhaltens hatte ihn tagelang beschäftigt.
    »Wo hast du das gefunden?« fragte er.
    »Da drüben. Alkibiades hat sie fallengelassen.«
    Der immer mit seinem schmutzigen Wissen, dachte Holbrock. Laut sagte er: »Was ist damit?«
    »Sie ist reif. Es ist Zeit, diesen Abschnitt abzuernten, nicht wahr?« Sie drückte die Frucht; Holbrock spürte, daß er rot wurde. »Sieh es dir an«, sagte sie und warf ihm die Frucht hinauf.
    Sie hatte recht: Die Erntezeit begann diesmal in Sektor C fünf Tage früher. Holbrock freute sich nicht darüber – das war eine Auswirkung der Krankheit, die diese Bäume ganz sicher ergriffen hatte, wie er jetzt wußte.
    »Stimmt etwas nicht?« fragte sie.
    Er sprang hinunter und hielt ihr das Bündel Blätter entgegen, das er von Plato abgeschnitten hatte. »Siehst du die Flecken? Das ist Rost – eine Pest, die die Saftbäume ergriffen hat.«
    »Nein!«
    »Es ist in den letzten Jahren von einem System zum anderen gewandert, und jetzt ist die Plage hier, trotz aller Quarantänen.«
    »Was geschieht mit den Bäumen?«
    »Ihr Metabolismus wird beschleunigt«, erklärte Holbrock. »Deshalb fallen die ersten Früchte jetzt schon ab. Die Krankheit beschleunigt alle Lebensfunktionen, bis die Bäume schließlich den Prozeß eines ganzen Jahres in einer Woche durchlaufen. Sie werden steril, werfen die Blätter ab. Sechs Monate nach dem Befall sind sie tot.« Holbrocks Schultern sackten herunter. »Ich hatte seit zwei, drei Tagen diesen Verdacht, jetzt habe ich Gewißheit.«
    Naomi schien interessiert, aber nicht besorgt zu sein. »Was ruft diese Krankheit denn hervor, Zen?«
    »In letzter Konsequenz ein Virus. Es überlebt so viele Gastkörper, daß ich dir die Reihenfolge gar nicht aufzählen kann. Dabei geht es um wechselseitige Übertragung des Virus – es befällt Pflanzen und gelangt in ihren Samen, dieser wird von Nagetieren gefressen, kommt in ihr Blut, wird von Insekten oder Schmarotzern dieser Tiere aufgenommen, von diesen auf ein Säugetier übertragen, dann ... ach zum Teufel, wozu die ganzen Einzelheiten? Es hat achtzig Jahre gedauert, diese Reihenfolge festzustellen. Man kann eine Welt nicht gegen alles absichern. Der Rost kommt irgendwann, als Gepäck irgendeines Lebewesens, und dann ist er da.«
    »Dann wirst du die Plantage besprühen?«
    »Nein.«
    »Um den Rost abzutöten, meine ich. Wie wird er denn sonst behandelt?«
    »Es gibt nichts«, sagte Holbrock.
    »Aber ...«
    »Hör mal, ich muß zurück ins Verwaltungsgebäude. Du kannst dich auch ohne mich beschäftigen, nicht?«
    »Klar.« Sie deutete auf das Fleisch. »Ich bin noch nicht fertig mit dem Füttern. Und heute morgen sind sie besonders hungrig.«
    Er wollte ihr gerade erklären, daß es sinnlos war, sie zu füttern, da sie bei Sonnenuntergang sowieso tot sein würden, aber eine innere Stimme warnte ihn, daß es schwierig sein würde, ihr das jetzt zu sagen. Holbrock lächelte kurz und ging dann zu seinem Wagen. Als er zu ihr zurücksah, war sie gerade dabei, einen großen Fetzen Fleisch zu Heinrich dem VIII. zu werfen, der ihn gekonnt auffing und sich in sein Maul stopfte. Holbrock startete das Fahrzeug.
     
    Etwa zwei Stunden später spuckte ein Computer den Laborbericht aus, und er bestätigte, was Holbrock bereits wußte: Rost. Inzwischen hatte mindestens der halbe Planet davon gehört, und bisher waren schon fast ein Dutzend Besucher gekommen. Auf einem Planeten, dessen Bevölkerungszahl unter vierhundert lag, war das viel. Der Distriktgouverneur, Fred Leitfried, war der erste, und er kam auch in seiner Funktion als Rat für Landwirtschaftsfragen. Eine Delegation von zwei Leuten der Saftzüchter-Gilde traf ein, dann kam Mortensen, der Boß der Verarbeitungsfabrik, und Heemskerck von der Exportfirma. Es folgte ein Vertreter der Bank und einer von der Versicherungsgesellschaft. Zwei Züchter aus der Nachbarschaft kamen, die mitleidig lächelten und Holbrock kameradschaftlich auf die
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