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Königin für neun Tage

Königin für neun Tage

Titel: Königin für neun Tage
Autoren: Rebecca Michéle
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1. KAPITEL
    Fenton Castle, Dorset, 5. August 1532
    Das Gesicht schweißüberströmt, das schlichte Leinenkleid am Körper klebend, versuchte die untersetzte, kurzatmige Frau mit dem jungen Burschen Schritt zu halten. Ein hoffnungsloses Unterfangen. Der Jüngling war ihrem Blickfeld entschwunden, als vor Kate Trevor die grauen Mauern der Burg aufragten. Sie verharrte kurz, wischte sich den Schweiß aus den Augen und blickte besorgt zum Himmel hinauf. Es war der heißeste Sommer, seit sie denken konnte. Der Regen ließ auf sich warten, die Felder lagen verdorrt in der Sonne und drückende Schwüle machte jede Tätigkeit im Freien zur unerträglichen Anstrengung. Jetzt jedoch verdunkelten schwarze Gewitterwolken den Himmel. Mit Besorgnis erkannte Kate Trevor am Horizont eine gelbliche Wolkenfront, die auf Hagel schließen ließ.
Blitz und Donner folgten im selben Augenblick. Die korpulente Frau beeilte sich schnaufend, die rettende Burg zu erreichen. Gerade als heftiger Platzregen einsetzte, hatte sie die geschlossene Zugbrücke erreicht. Sie hämmerte vehement an die kleine Pforte, die in die massive Holzkonstruktion eingelassen war. Das schmale Fenster öffnete sich, und ein ungewaschener Mann mit struppigem Bart musterte sie missmutig.
»Was wollt Ihr?«
Ein Schwall alkoholgeschwängerten Atems ließ Kate Trevor augenblicklich zurückweichen, und sie schnappte mehrmals nach Luft, während es um sie herum gleichzeitig blitzte und donnerte.
»Euer Herr hat nach mir geschickt. Ich bin die Hebamme«, schrie sie gegen den Gewittersturm an.
Die schwarzen Augenbrauen des Mannes zogen sich über seiner Hakennase unwillig zusammen.
»Ich kenne die Hebamme. Ihr seid nicht Mary Trevor!«
»Ich bin Kate, ihre Schwester, und ebenso als Hebamme …«
Rums! Die Klappe wurde zugeworfen. Nur mit Mühe konnte Kate Trevor noch die Worte »Wartet hier!« verstehen. Sie trommelte mit beiden Fäusten gegen das Holz und rief: »Lasst mich bitte ein!«, doch hinter der Tür rührte sich nichts mehr.
In diesem Augenblick setzte der Hagel ein. Taubeneigroße Körner prasselten hernieder und prallten schmerzhaft auf Kates Rücken und Arme. Sie versuchte, sich so dünn wie möglich zu machen, und drückte sich direkt an die Wand der äußeren Burgmauer, um vor dem Unwetter ein wenig Schutz zu finden. Kate Trevor war keine abergläubische Frau, sie sah in einem Gewitter eine ganz normale Naturerscheinung, doch jetzt schien es ihr, als hätte der Himmel alle Schleusen geöffnet und die Wassermassen wollten sie mitreißen.
»Auf was habe ich mich da nur eingelassen?«, murmelte sie und wünschte sich zurück in die einfache Hütte mit dem festen und dichten Dach. »Das hat man nun davon, wenn man sein Leben in den Dienst anderer Frauen stellt!«
Nach einer Ewigkeit, wie es Kate schien, knirschte der Schlüssel im Schloss, und endlich wurde die kleine Pforte geöffnet. Kate musste sich bücken und sich regelrecht hindurchzwängen, doch dann stand sie endlich im trockenen Tordurchgang. Bedingt durch das Unwetter herrschte hier beinahe völlige Finsternis. Kate versuchte blinzelnd, sich an die Dunkelheit zu gewöhnen, als sie eine tiefe weibliche Stimme vernahm: »Ich schickte den Burschen aus, um die Hebamme aus dem Dorf zu holen. Wer bist du, und was willst du?«
Eine mittelgroße, hagere Frau, beide Arme in die Hüften gestemmt, baute sich misstrauisch vor Kate auf.
Kate schauderte einerseits vor Kälte, die die feuchte Kleidung auf ihrem Körper hervorrief, andererseits wegen der kalten Stimme der Frau.
»Mein Name ist Kate Trevor. Ich bin die Schwester der hiesigen Hebamme Mary Trevor. Meine Schwester ist gestern zu einem weiter entfernten Hof gerufen worden und noch nicht zurückgekehrt. So traf Euer Bote nur mich an.«
»Weshalb habe ich dich nie zuvor gesehen?« Die Frau mittleren Alters, deren Kleidung sie als eine höher gestellte Bedienstete auswies, blieb skeptisch. »Mary Trevor ist mit dem besonderen Fall der Lady vertraut. Sie hat ihr bereits bei den vorherigen Geburten beigestanden.«
Erleichtert atmete Kate auf. Gut, dass es sich nicht um eine Erstgebärende handelte, das würde die Sache ungemein beschleunigen. Schon jetzt sehnte sie sich zurück in ihre vier Wände und nach einem Becher warmen Biers.
»Ich komme aus einem Dorf in der Nähe von Launceston, das letzte Woche durch einen Brand völlig zerstört wurde. Darum habe ich mich auf den Weg zu meiner Schwester gemacht, denn es gibt sonst niemanden, zu dem ich hätte gehen
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