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Nacht über der Menschheit

Nacht über der Menschheit

Titel: Nacht über der Menschheit
Autoren: Robert Silverberg
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denken, sie können reagieren. Sie haben Seelen. Wenn man sie schlägt, können sie weinen. Sie sind auf kleine Beutetiere aus, sie verdauen Fleisch. Einige von ihnen bevorzugen Lamm oder Rind. Einige sind nachdenklich und ernst, andere lebhaft und unruhig, einige friedfertig, fast stoisch. Und obwohl sie alle zweigeschlechtlich sind, haben einige männliche Persönlichkeiten, andere weibliche, wieder andere sind ambivalent. Seelen. Persönlichkeiten.
    Bäume.
    Die namenlosen Bäume von Sektor K führten ihn in Versuchung, die Sünde des Engagements zu begehen. Der fette da könnte Buddha heißen, und der da Abraham Lincoln, und du, du bist William der Eroberer, und ...
    Bäume.
    Holbrock strengte sich an und hatte Erfolg. Kühl überprüfte er das Gehölz, versicherte sich, daß während der Nacht von umherschleichenden Bestien kein Schaden angerichtet worden war, überprüfte den Reifegrad der Früchte, wertete die Informationen aus, die von den Sensoren hereinkamen, jenen Monitoren, die den Zuckergehalt, die Gärungsstufen, die Manganaufnahme und all jene komplizierten, aufeinander abgestimmten Lebensprozesse überwachten, von denen der Ausstoß der Plantage abhing. Holbrock bediente praktisch alles allein. Er hatte drei menschliche Mitarbeiter als Aufseher und drei Dutzend Roboter angestellt, der Rest wurde durch Fernsteuerung erledigt, und normalerweise funktionierte auch alles glatt. Vorschriftsmäßig bewacht, gehegt und ernährt, brachten die Bäume drei Ernten pro Jahr ein; Holbrock verkaufte dann den Saft an eine Sammelstelle in der Nähe des Raumhafens, wo der Saft ausgepreßt, verpackt und zur Erde geschickt wurde. Daran hatte Holbrock keinerlei Anteil – er war nur der Fruchtproduzent. Er war jetzt zehn Jahre hier, und er hatte nicht die Absicht, je etwas anderes zu tun. Hier hatte er ein ruhiges Leben, ein einsames Leben, aber es war das, was er sich gewünscht hatte.
    Nach und nach checkte er alle Sektoren durch, bis er sich vergewissert hatte, daß in der Pflanzung alles in Ordnung war. Zuletzt schaltete er noch das Bild vom Fluß ein und sah Naomi, wie sie gerade aus dem Wasser stieg. Sie kletterte auf das felsige Ufer hinauf und schüttelte ihr langes, glattes, blondes Seidenhaar. Sie stand mit dem Rücken zur Kamera. Mit Freude beobachtete Holbrock die Arbeit ihrer Muskeln; ihr Rückgrat wurde deutlich durch einen schmalen Schatten hervorgehoben, Sonnenlicht tanzte auf ihren schmalen Hüften, auf ihrem Gesäß, wenn sie sich bewegte. Sie war fünfzehn und verbrachte einen Monat ihrer Sommerferien bei Onkel Zen; nirgends ging es ihr so gut wie hier unter den Saftbäumen. Ihr Vater war Holbrocks älterer Bruder. Holbrock selbst hatte Naomi nur zweimal gesehen, einmal als Baby, das andere Mal mit sechs Jahren. Ihm war nicht ganz wohl gewesen, sie hierher kommen zu lassen, da er kaum etwas über das Kind wußte und sowieso kein großes Interesse daran hatte, Gesellschaft zu bekommen. Aber er hatte sich der Bitte seines Bruders nicht widersetzt. Sie war auch kein Kind mehr. Jetzt wandte sie sich um, und sein Bildschirm zeigte ihm ihre apfelrunden Brüste, den flachen Bauch, den tiefliegenden Nabel und die starken, schlanken Schenkel. Fünfzehn – kein Kind mehr, eine Frau. Ihre Nacktheit bekümmerte sie keinen Augenblick. Sie schwamm jeden Morgen so, obwohl sie wußte, daß es hier überall Kameras gab. Holbrock war etwas unsicher, ob er ihr zuschauen sollte. Durfte er das? Ganz sauber war es nicht. Ihr Anblick verwirrte ihn beträchtlich. Zum Teufel – ich bin ihr Onkel. Immer wieder sagte er sich, daß die einzige Freude, die er bei ihrem Anblick hatte, der Stolz und das Vergnügen daran war, daß sein Bruder etwas so Herrliches zustande gebracht hatte. Nur Bewunderung – dieses Gefühl erlaubte er sich. Sie war leicht gebräunt, honigfarben, mit rosa und goldenen Flecken hier und da. Sie schien stärker zu strahlen als die Morgensonne. Holbrock klammerte sich an seine Kontrollen. Ich habe zu lange allein gelebt. Sie ist meine Nichte – meine Nichte. Noch ein Kind, fünfzehn Jahre alt, hübsch. Er schloß die Augen, öffnete sie einen Schlitz breit, biß sich auf die Lippe. Mach schon, Naomi, zieh dir etwas an!
    Als sie ihren Bikini wieder anlegte, wirkte das auf ihn wie eine Sonnenfinsternis. Holbrock schaltete die Apparate ab, ging hinunter ins Haus und griff sich zwei Frühstückspakete. Ein glitzernder kleiner Wagen rollte von der Garage heran – er sprang hinein und fuhr damit hinaus, um
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