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Gößling, Andreas

Titel: Gößling, Andreas
Autoren: Dämonenpforte Die
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1

    Kaum hatten sie die Autobahn hinter sich, da veränderte sich das Licht. Der Himmel auf einmal schimmelgelb, mit einem Stich ins giftig Grüne. »Das kommt von den Moorgasen«, sagte Linda. Die Straße wand sich durch eine Landschaft wie im Horror-Game: links und rechts dunkles Gewässer, fast schwarz. Hier und dort Baumleichen, die hager aus dem Sumpf aufragten.
    »Wow«, sagte Marian. »Hier hat der alte Marthelm gewohnt?«
    Seine Mutter nickte. »Sein Leben lang, soweit ich weiß.«
    Weit und breit war niemand außer ihnen unterwegs. Nur ein paar plumpe schwarze Vögel, die über den toten Bäumen kreisten. Eine Welt wie nach dem Ende der Welt.
    Marian kurbelte die Scheibe auf seiner Seite herunter, aber die Sicht blieb trüb. Als wollte schon der Abend dämmern, dabei war es noch nicht mal fünf, ein wolkenloser Augusttag. Aber hier im Moor hing über allem dieser gelbliche Schleier, der die Umrisse verschwimmen ließ.
    Der Straßenbelag wurde löchrig, die Stoßdämpfer stöhnten. »Unser Auto passt jedenfalls schon mal gut hierher«, sagte Linda und grinste ihn von der Seite her an.
    »Du meinst, weil es mindestens so alt ist wie Onkel Marthelm?«
    Zärtlich streichelte Linda über das Lenkrad. »Armer, greiser Golf. Das hast du nicht verdient.«
    Womit sie recht hatte: Das Auto war erst 15 – genauso wie Marian. Urgroßonkel Marthelm Hegendahl aber war unwahrscheinliche 115 Jahre alt, als er sich letzte Woche zum allerletzten Mal schlafen legte.
    »Klimaanlage wäre trotzdem nicht schlecht«, sagte Marian. Warmer Wind wirbelte durch den Wagen, zerzauste ihm die Haare und trug einen stechenden Geruch herein – nach Schwefel oder solchem Zeug, wie in der Chemiestunde. »Vielleicht vererbt uns Marthelm ja wirklich was.«
    »Ganz bestimmt tut er das.« Seine Mutter ließ kurz das Lenkrad los, um beide Hände zu Fäusten zu ballen. »Das heißt, falls wir rechtzeitig zu seiner Beerdigung ankommen.«
    Sie trat auf die Bremse und kam genau auf einer Kreuzung zum Stehen. Vier Möglichkeiten, null Hinweisschilder.
    Linda schaute nach links, dann nach rechts. »Ich habe nicht die geringste Ahnung«, sagte sie, »wie wir jetzt fahren müssen.«
    »Na toll.« Marian schnaufte. »Denkst du an ein Navi, wenn du demnächst unseren neuen Luxusschlitten kaufst?« Kannte er irgendjemanden, dessen Eltern ein Auto ohne Aircondition oder Navigationsgerät fuhren? Von elektrischen Fensterhebern ganz zu schweigen.
    Er überlegte, aber es fiel ihm niemand ein. Nicht, dass ihm solche Dinge besonders wichtig gewesen wären – er machte sich auch wenig aus all dem angesagten Kram, für den viele in seinem Alter Unmengen von Geld ausga ben. Aber manchmal nervte es ihn schon, dass seine El tern ständig knapp bei Kasse waren. Was seine Mutter in dem kleinen Reisebüro in Starnberg verdiente, reichte gerade mal so, damit sie das Nötigste kaufen konnten. Und Christian, sein Vater, war zwar ein großartiger Video- und noch besserer Lebenskünstler, aber praktisch immer pleite. Seit er aus seinem Studio geflogen war, weil er mindestens ein Jahr lang keine Miete mehr gezahlt hatte, lebte Daddy Chris eben in einem Bootshaus. Fast jeden Tag fuhr er auf den Starnberger See hinaus – und sein Segelboot war bestimmt fast genauso alt, wie Urgroßon kel Marthelm angeblich geworden war.
    Wer wird schon 115?
    »Ich schätze, wie müssen nach rechts.« Linda brütete über dem Autoatlas. »Oder sind wir vielleicht erst hier?« Mit dem Zeigefinger fuhr sie über einen grauen Fleck auf der Karte, der von einem Gespinst aus schwarzen Strichen durchzogen war. »Dann müssten wir erst noch ein Stück geradeaus.«
    Marian spürte plötzlich ein Kribbeln im Magen – sich in dieser Einöde zu verirren, wäre keine besonders gute Idee. Die Straßen waren schmal und kurvig, die Ränder glitschig und steil. Wenn sie vom Weg abkämen, könnten sie die Fenster bestimmt nicht schnell genug runterkurbeln, um sich aus dem Wagen zu befreien, ehe der vom Moor verschluckt worden wäre.
    Um die Schatten der Baumleichen waberten schimmelgelbe Schleier. Lichtpfützen phosphoreszierten im Dunkel des Sumpfs: wie die aufgerissenen Augen eines Monsters, das stöhnend aus der Tiefe des Moors emporsteigt.
    Sein Herz schlug schneller als normal. Er bekam sogar ein wenig Gänsehaut. Außerdem schwitzte er, aber im Auto war es wirklich ziemlich heiß.
    »Na, da haben wir aber Glück«, sagte seine Mutter. »Ein Wanderer. Der kennt sich bestimmt hier aus.«
    Linda fasste
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