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Nacht über der Menschheit

Nacht über der Menschheit

Titel: Nacht über der Menschheit
Autoren: Robert Silverberg
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und Knochen durch das Gehölz, lief mit tänzelnden Schritten auf und warf sie ihren Lieblingen zu. Die Bäume fingen das Fleisch meist aus der Luft auf und stopften es in ihre hungrigen Schlünde. Die Bäume brauchten Fleischnahrung nicht, aber sie mochten sie gern, und es war ein ungeschriebenes Gesetz unter den Züchtern, daß guternährte Bäume den meisten Saft produzierten. Holbrock gab seinen Schützlingen dreimal die Woche Fleisch, ausgenommen in Abschnitt D, der eine tägliche Ration bekam.
    »Laß keinen aus«, rief Holbrock ihr nach.
    »Du weißt, daß ich das nicht tue.«
    Kein Stück fiel zu Boden – manchmal griffen zwei Bäume zugleich nach einem Stück, was dann zu einem kleinen Kampf führte. Die Bäume waren nicht unbedingt freundlich zueinander; besonders böses Blut gab es zwischen Cäsar und Heinrich dem VIII., und Cato verachtete Sokrates und Alkibiades zutiefst. Ab und zu fanden Holbrock oder seine Leute abgerissene Äste, wenn sie morgens in die Plantage kamen. Aber normalerweise tolerierten die Bäume einander trotz ihrer Streitigkeiten – das mußten sie auch, waren sie doch ein Leben lang miteinander verbunden, Holbrock hatte einmal versucht, zwei Bäume des Sektors F zu trennen, die einen bösen Streit hatten – aber es war unmöglich gewesen, einen Baum auszugraben, ohne ihn dabei nicht umzubringen und das Nervensystem seiner dreißig nächsten Nachbarn nicht zu schädigen, wie Holbrock unter Opfern hatte lernen müssen.
    Während Naomi die Bäume fütterte und mit ihnen sprach oder ihre schuppigen Stämme klopfte, wie man vielleicht ein zahmes Rhinozeros tätschelt, packte Holbrock ein kleines Fernglas aus und unterzog die Blätter der Bäume einer weiteren Prüfung. Das hatte aber nicht viel Sinn, denn der Rost auf den Blättern wurde erst sichtbar, wenn er bereits die Wurzeln des Baumes angegriffen hatte; die orangefarbenen Flecken, die er überall zu sehen glaubte, entsprangen vermutlich mehr seiner überhitzten Vorstellungskraft. In ein oder zwei Stunden würde der erste Bericht im Labor vorliegen, und der würde ihm alles sagen, was er wissen mußte – so oder so. Trotzdem konnte er es nicht unterlassen, nachzusehen. Von einem unteren Ast Platos schnitt er ein paar Blätter ab, drehte sie in den Händen, rieb ihre glänzenden Unterseiten. Was war das da, diese kleinen Punkte rötlicher Färbung? Sein Unterbewußtsein versuchte die Möglichkeit, daß es sich um Rost handelte, zu verdrängen. War die Plage, die schon viele Welten überzogen hatte, auch hier, würde sie ihn vernichten? Er hatte diese Plantage zum größten Teil auf Hypotheken angebaut, weniger mit seinem eigenen Kapital. Diese Hypothek war auch ein zweischneidiges Schwert: Wurden die Bäume von dem Rost befallen und lieferten sie daher nicht mehr genug Saft, damit er einen Gewinn machen konnte, so würde die Bank, von der er sich Geld geliehen hatte, die Plantage übernehmen. Vielleicht stellte man ihn dann noch als Manager ein. Er hatte gehört, daß so etwas gemacht wurde.
    Plato raschelte ungemütlich.
    »Was hast du, alter Freund?« murmelte Holbrock. »Du hast die Krankheit, nicht wahr? Irgend etwas Komisches schwimmt in deinen Adern umher. Ich weiß, ich weiß. Ich spüre es in mir auch. Wir beide müssen jetzt Philosophen sein.« Er nahm die Leiter und ging die Reihe weiter entlang bis zu Alkibiades. »Na, mein Schöner? Laß mich mal sehen. Ich schneide dir keine Blätter ab.« Er spürte förmlich, wie der Baum sich innerlich dagegen auflehnte. »Auch ein bißchen fleckig geworden? Du hast ihn auch, stimmt's?« Die äußeren Äste des Baumes drückten sich an den Stamm, als ziehe Alkibiades sich ängstlich in sich selbst zurück. Holbrock ging weiter. Die Rostflecken waren schon deutlicher als einen Tag zuvor. Also doch keine Einbildung. Sektor C war befallen. Er brauchte gar nicht auf den Laborbericht zu warten. Er fühlte sich seltsam ruhig, obwohl er seine Ängste bestätigt bekommen hatte und diese Tatsache seinen eigenen Ruin ankündigte.
    »Zen?«
    Holbrock sah hinunter. Naomi stand am Fuß der Leiter und hielt eine fast reife Frucht in den Händen. An der ganzen Situation war etwas Groteskes: Die Früchte waren das Produkt einer Laune der Natur, eindeutig ein Phallus-Symbol, so daß ein Baum mit mehreren hundert Früchten wie das archetypische Abbild eines Mannes wirkte; die meisten Besucher hatten das amüsant gefunden, aber in den Händen eines fünfzehnjährigen Mädchens wirkte eine solche
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