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Aetherhertz

Aetherhertz

Titel: Aetherhertz
Autoren: Anja Bagus
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Kapitel 1
     
    Drosera bulbosa, Sonnentau, fleischfressendes Wunder der Pflanzenwelt. Aus dem grünen Blatt sprossen unzählige winzige rote Stiele, an deren Ende jeweils ein glitzernder Tropfen hing, bereit, ein unvorsichtiges Insekt einzufangen und zu verdauen. Vorsichtig streifte Annabelle eine der winzigen Perlen auf einen gläsernen Objektträger, dann nahm sie mit einer Pinzette die vorbereitete hauchdünne Scheibe Fleisch und legte sie daneben. Sie verschwendete keinen Gedanken an die Schnecke, die dafür ihr Leben lassen musste. Im Gemüsegarten befand sich ein unerschöpflicher Nachschub.
    Sie legte die hauchdünne Glasplatte auf die Präparate. Der Tropfen berührte das Fleisch und begann, es zu verdauen. Die Welt versank um sie herum, während sie die Schlacht der Enzyme beobachtete.
     
    Als sie die Augen erhob und in die Realität zurückkehrte, erblickte sie ihren Laborkollegen Hans Zoller, der sich angestrengt die Stirn rieb. Sie überlegte kurz, ob sie ihn fragen sollte, was los war, wusste aber, dass er ihr gegenüber nie zugeben würde, nicht weiter zu kommen. Ab und zu ließ er sie an seinen Untersuchungen teilhaben, und es schien ihr fast, als habe er doch bemerkt, dass sie ein profundes Wissen über Zellbiologie besaß.
    Herr Zoller war Pathologe und untersuchte hier entartete Zellen. Das pathologische Labor von Professor Schmidt war das größte in Baden-Baden und Annabelle war begeistert über die moderne Ausstattung. Sie durfte hier forschen, weil ihr Vater den Institutsleiter gut kannte und dieser Platz frei war. Das Studium von Giften war ihr Steckenpferd, sie hatte sich fast alles Selbst beigebracht. Irgendwann hatte ihr Vater aber die Nase voll gehabt, und ihr verboten, zu Hause weiter zu machen. “Wenn schon, dann machst du das richtig, und diese ganzen stinkenden toten Tiere kommen hier weg” , hatte er geschimpft und ihr jemanden besorgt, der ihr wissenschaftliches Arbeiten beibrachte.
    Sie sah auf ihre Taschenuhr und notierte etwas. Herr Zoller starrte sie an, das spürte sie. Er war merkwürdig: Einerseits lehnte er es eigentlich ab, dass Frauen arbeiteten, und sagte ihr das auch immer wieder, andererseits schien er sie zu mögen, jedenfalls war er meistens herablassend freundlich. Sie fand ihn nett, auch wenn er sich wie jetzt seine rötlichen Locken raufte und rote Wangen bekam, wenn er sich aufregte, was er oft tat. Er hatte schon den ganzen Morgen an etwas offensichtlich Schwierigem gearbeitet und immer wieder seufzte und stöhnte er.
    Sie drehte sich zu ihm: „Herr Zoller! Sie träumen!“
    „ Ja, ja“, grummelte er, wandte den Blick ab und rieb sich verlegen am Ohr.
    „ Was ist?“
    „ Nichts. Viel Arbeit.“ Annabelle wusste, dass heute Morgen eine Vielzahl an Proben gekommen waren, die Herr Zoller untersuchen sollte. Hans war ein guter Mitarbeiter, aber er mochte es nicht, gedrängt zu werden.
    “ Kann ich helfen?”
    Er überlegte kurz und schüttelte dann den Kopf: “Nein. Machen Sie mal mit Ihren Studien weiter.”
    „ Mach ich“, sagte sie achselzuckend und wandte sich wieder ihrem Präparat zu.
     
    * * *
     
    Annabelle öffnete ihre Haustür, wappnete sich und konnte so die stürmische Begrüßung ihrer Hündin Sissi heil überstehen. Die schwarze Zwergschnauzerhündin freute sich unbändig über die Ankunft ihres Frauchens, bellte und wuselte zwischen ihren Beinen herum, immer Gefahr laufend, sich in den Falten des Rockes zu verirren.
    Sie entwirrte ihre Haare von dem verhassten Hut und zog sich die Haarnadeln aus der Frisur, als eine kleine dünne Frau mit schnellen Schritten aus der Küche kam und sie abfing. Die wasserblauen Augen ihrer Haushälterin waren zusammengekniffen, da sie zu eitel war, eine Brille zu benutzen, obwohl sie eine besaß. Sie musterte Annabelle kritisch und wedelte dann mit den Armen.
    „ Du hast wichtigen Besuch, zieh dich schnell um!“, flüsterte sie.
    „ Wieso? Wer ist es denn?“ Annabelle sah selten die Notwendigkeit ein, sich mehrmals am Tag umzuziehen.
    Frau Barbara drängelte die widerspenstige Annabelle die Treppe hoch: „Es ist der Anwalt, Herr Falkenberg, und er sagt, es ist wichtig!“
    Annabelle erschrak und fügte sich. Frau Barbara frisierte ihr schnell wieder die Haare und ließ sie erst gehen, als das Korsett unter einem schlichten hellbraunen Kleid eng geschnürt war. Eine einreihige Perlenkette vervollständigte ihre Erscheinung als gute biedere Tochter eines reichen Mannes.
    Mit einem mulmigen Gefühl betrat
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