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Nacht über der Menschheit

Nacht über der Menschheit

Titel: Nacht über der Menschheit
Autoren: Robert Silverberg
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Zufahrtsstraße.«
    »Okay«, sagte Holbrock. »Beschäftigen Sie sie, bis das hier vorbei ist. Ich fange an.«
    Er drehte die Fusionskanone und zielte mit ihrem stumpfen Lauf in das Herz des Gehölzes. Im Herzen der Kanone hing ein kleines Stück Sonnenmaterie in einem Magnetfeld, das mehrmals für den Zweck ausreichte, den er heute erreichen wollte. Die Kanone hatte kein Visier, denn sie war nicht als Waffe konzipiert; trotzdem glaubte er, seine Arbeit damit tun zu können. Schließlich schoß er auf große Ziele. Sich allein auf seine Augen verlassend, nahm er Sokrates als erstes Ziel, der am Rand des Gehölzes stand. Für einen kurzen Augenblick zögerte Holbrock noch, überlegte, wie er die Arbeit, die er tun mußte, am effektivsten ausführen konnte. Dann legte er seine Hand auf die Feuerkontrolle. Der neuralgische Punkt des Baumes befand sich in einer Krone, hinter dem Maul. Ein schneller Schuß ...
    Ja.
    Ein grellweißer Feuerbogen zischte durch die Luft, Sokrates' unförmige Krone wurde für Sekundenbruchteile im grellen Licht gebadet – ein kurzer, sauberer Tod, der dem langsamen Zerfall durch den Rost vorzuziehen war. Jetzt zog Holbrock den Feuerstrahl von der Baumkrone hinunter zum Stamm. Das Holz war widerstandsfähig – immer und immer wieder drückte er ab. Äste und Gliedmaßen und Blätter fielen ab, während der Baumstumpf stehenblieb. Dicke, ölige Rauchschwaden stiegen auf. Vor diesem dunklen Hintergrund sah Holbrock den schwarzen Stumpf von Sokrates deutlich in grellem Licht und wunderte sich, wie gerade er doch gewachsen war. Jetzt war der Baumstamm nur noch ein Aschehaufen, fiel zusammen und war verschwunden.
    Von den anderen Bäumen der Pflanzung kam ein schrecklich tiefes Stöhnen.
    Sie wußten, daß der Tod unter ihnen wütete, und sie hatten seinen Todesschmerz durch ihr unterirdisches Wurzel- und Nervensystem mitverspürt. Jetzt schrien sie vor Angst und Wut und Enttäuschung auf.
    Benommen richtete Holbrock den Strahler auf Hektor.
    Hektor war ein großer Baum, unbeweglich, stoisch fast, der sich niemals beklagte. Holbrock wollte ihm einen schnellen Tod bereiten, aber versehentlich traf er einige Meter unterhalb der Krone, und der Aufschrei der umstehenden Bäume verriet ihm, welche Schmerzen Hektor verspüren mußte. Holbrock sah, daß die Äste wie wild durch die Luft peitschten, wie das Maul sinnlos auf und zu ging. Der zweite Strahl beendete Hektors Qualen. Wieder fast völlig ruhig, löschte Holbrock jetzt den Rest des Stammes aus.
    Er war fast damit fertig, als er bemerkte, daß ein zweiter Wagen neben seinem hielt und Naomi heraussprang und mit gerötetem Gesicht und aufgerissenen Augen, kurz vor einem Hysterieanfall, auf ihn zugerannt kam. »Hör auf!« schrie sie. »Hör auf, Onkel Zen! Verbrenn sie nicht!«
    Sie sprang auf den Sprühwagen, fiel ihm in die Arme und zerrte mit überraschend großer Kraft an seinen Handgelenken. Sie keuchte, ihre Brust hob und senkte sich erregt, ihre Nasenflügel flatterten.
    »Ich sagte dir, du sollst ins Verwaltungsgebäude gehen«, schimpfte Holbrock.
    »Das tat ich – aber dann entdeckte ich die Flammen.«
    »Verschwinde von hier.«
    »Warum verbrennst du die Bäume?«
    »Weil sie vom Rost befallen sind«, erklärte er. »Sie müssen verbrannt werden, bevor sie die anderen anstecken.«
    »Das ist Mord!«
    »Naomi, bitte, gehst du jetzt zurück ins ...«
    »Du hast Sokrates umgebracht!« murmelte sie, während sie zum Gehölz hinüberschaute. »Und ... Cäsar? Nein, Hektor. Hektor ist auch tot. Du hast sie einfach verbrannt!«
    »Es sind keine Menschen, sie sind Bäume. Kranke Bäume, die sowieso bald sterben. Ich möchte die anderen doch nur retten.«
    »Aber wozu bringst du sie dann um? Es muß doch ein Mittel geben, das ihnen helfen kann, Zen. Irgendein Spray. Heutzutage gibt es für jede Krankheit ein Mittel.«
    »Nicht für diese.«
    »Es muß sie geben.«
    »Nur das Feuer«, sagte Holbrock. Auf seiner Brust lief ihm kalter Schweiß herunter, und ein Muskel in seinem Oberschenkel zitterte. Es war so schon schwer, ohne sie diese Arbeit zu erledigen. So ruhig er konnte, sagte er zu ihr: »Naomi, das ist etwas, was getan werden muß. Wir haben keine andere Wahl. Ich liebe diese Bäume genauso wie du, aber ich muß sie ausbrennen. Es ist wie mit dem Vielbeiner und dem Giftstachel: Ich kann mir Sentimentalitäten ihm gegenüber nicht erlauben, nur weil er hübsch ausgesehen hat. Er war eine Bedrohung. Und jetzt bedrohen Plato und Cäsar und
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