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Muenchen Blues

Titel: Muenchen Blues
Autoren: Max Bronski
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mir in der eiskalten Toilette einen Schauer den Rücken hinunterjagte, musste ich mir eingestehen, dass nicht nur Julius schweinemäßig nervös war. Und ich konnte noch nicht einmal etwas tun, außer zuzuschauen.
    Früher war das alles nicht so tragisch gewesen. Eine Beatgruppe, die ein paar gerade Takte zustande brachte, war schon etwas oder doch zumindest auf dem Sprung. Und zu den Hochzeiten des Punk konnte der Gitarrist seinem Publikum verkünden, dass ihm zwar drei Saiten gerissen seien, er aber trotzdem weiterspiele, was in der Tat egal war, solange der Saft am Verstärker voll aufgedreht war.
    Als ich zurückkam, war der Saal bereits abgedunkelt. Statt einer Vorgruppe legte der Wirt auf, um das Publikum schon etwas vorzuwärmen. Emma schaute mich prüfend an. Sie lächelte.
    – Wird schon gutgehen.
    Ihre Zuversicht hätte ich gerne geteilt. Dann kamen die drei Musiker in den Saal. Eigentlich trotteten sie, jedenfalls kam mir die Zeit, bis sie endlich die Bühne erreicht hatten, unendlich lang vor. Jeder halbwegs schlaue Provinzpolitiker oderShowman weiß, dass man im Angesicht einer Bühne zu laufen beginnt und möglichst mit einem Satz das Podest erklimmt. Die Dynamik muss einem aus allen Knopflöchern spratzen. Davon hatten die drei Veteranen noch nichts gehört. Vorneweg Onkel Tom mit einer Leibesfülle, die showtechnisch nur in den weißen, strassbesetzten Sack des Endzeit-Elvis gepasst hätte. Dahinter Henry Finkel, lang und dürr wie der Knochenmann in der Geisterbahn. Als Letzter mein Julius, weiß wie die Wand, abwesend und starr, als führten sie ihn aufs Schafott.
    Schon als sie oben angekommen waren, gab es Pfiffe und Auf geht’s!-Rufe. Henry setzte sich hinter das Schlagzeug, griff nach den Stöcken und ließ die Fußtrommel probehalber rumsen. Man war dankbar für jedes positive Signal. Onkel Tom hatte sich die Gitarre umgehängt, Julius war offenbar der Bass zugewiesen worden.
    Dann gab es noch die üblichen One-two-Testdurchsagen, und schließlich ging die Post ab. Ich war von Anfang an erleichtert, denn Onkel Tom war immer noch ein ebenso versierter wie routinierter Gitarrist und Sänger. Er begann mit »Johnny B. Goode«, und im Saal war Friede, denn diese Nummer hatte er voll drauf. Henry spielte an seinen Trommeln einen grundsoliden Part, und Julius wummerte unauffällig mit dem Bass dazu. Eine angenehme Entspannung trat bei mir ein.
    Das weitere Programm der drei waren vor allem klassische Stücke, Blues und Rock gleichermaßen. Die alten Nummern packten mich tatsächlich, und bei geschlossenen Augen lief in mir ein richtig spannender Film ab. Nichts schießt einen so über jedes Alter hinaus und macht so glücklich wie die Musik,die haargenau den richtigen Nerv bei dir trifft. Weil sie dich dann punktgenau da erwischt, wo sie sie dich früher schon erwischt hat. Deshalb ist zwischen dem Jugendlichen, der diese Musik zum ersten Mal gehört und gemocht hat, und dem alten Dackel, der sie wieder hört, kein Unterschied. Der wird komplett plattgemacht. Und in dir gewinnt eine freudige Erregung so rasch an Volumen, als würden sie dich mit Glücksgas aufpumpen.
    Wenn man die Augen wieder aufmachte, sah man die beiden dicken Burschen da vorne, Onkel Tom, der die Gitarre nur seitlich bespielen konnte, weil er sie gar nicht mehr vor seinen Ranzen brachte, und Julius, dem das rote T-Shirt in nassen Falten um den Puddingleib hing. Aber gerade dieser krasse Gegensatz rührte einen an, so wie es einen zutiefst bewegt, wenn abgerissene, bocksbeinige Gesellen ihren Instrumenten die süßesten Schalmeinklänge entlocken und sich folglich Teufel jederzeit in Englein verwandeln können.
    Ich pfiff, schrie, klatschte und fiel laufend Emma um den Hals. Ich war entfesselt.

53
    Alles hatte eine schöne Wendung genommen, ich rechnete damit, dass das Repertoire der Veteranen nun bald heruntergespielt und das Ende des Gigs in Sicht war. Doch ein Happy End bekommt man nie geschenkt, und es zog doch noch die Katastrophe herauf, die ich befürchtet hatte. Vielleicht war es abgesprochen, oder Julius war übermütig geworden, jedenfalls gab Onkel Tom durch, man solle nun Julius Balser an der Gitarre willkommen heißen. Nach dieser Ankündigung tauschten sie die Instrumente.
    Julius trat nach vorne. Soweit es die hitzebeschlagenen Gläser zuließen, erkannte man die helle Panik in seinen Augen. Aber dieser Trottel musste ja unbedingt seinen großen Auftritt haben! Dann erklangen die ersten Akkorde, und schon da
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