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Muenchen Blues

Titel: Muenchen Blues
Autoren: Max Bronski
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hätte ich die Flucht antreten wollen: Sie spielten tatsächlich »Stormy Monday«, eine Nummer, an der sich nur weltbeste Gitarristen versuchen dürfen.
    Die normalerweise zart getupften ersten zwölf Takte verpatzte Julius völlig. Henry ließ im Hintergrund die Trommel schnarren, wie eben der Sturm, der durch die Straßen fegt, aber das nützte nichts, denn auch aus der Entfernung erkannte man unschwer, wie Julius mit seinen schweißigen Pfoten über die seifig gewordenen Saiten glitschte und auf beinahe jedem Ton ausrutschte.
    Man war dankbar, als endlich Onkel Tom die erste Strophe zu singen begann und mit seinem kräftigen Organ die Aufmerksamkeit von der Gitarre abzog. Dann aber, nach der dritten Strophe, wurde Julius wieder wie mit einem Arschtritt ins Rampenlicht befördert. Er hielt den Kopf gesenkt und krümmte sich. Was er da solistisch ablieferte, klang schräg, schräger als es der Blues erlaubt, war aber sicherer und besser als zuvor und konnte mit einiger Großzügigkeit als kleine Unsauberkeit durchgehen.
    So frettete sich Julius über die zwölf Takte hinweg, und Henry titschte zweimal kurz ans Becken, um ihm zu signalisieren, dass er das Ding nach Hause gezittert hatte und mannun mit der Wiederholung der letzten Strophe aus der Nummer halbwegs anständig herausgehen konnte.
    Aber Julius dachte überhaupt nicht daran aufzuhören und sattelte noch eine Runde drauf. Er hob den Kopf und man hatte das ungute Gefühl, dass er mit aller Muskelgewalt seiner Kiefern eine Tischplatte durchzubeißen versuchte. Nun plötzlich schaute er nach vorne und hatte nicht mehr dieses weggeduckt Scheue, diesen Untertanenbuckel eines notorischen Schleichers. Er riss den Hals der Gitarre nach oben, als wollte er nun allen zeigen, was ein Julius Balser aus diesen magischen sechs Saiten herausholen konnte. Mir graute vor diesem Borderliner.
    Vielleicht zuckte ja auch aus der Stromgitarre ein jäher Blitz, der ihm ins Gehirn fuhr, jedenfalls steigerte sich Julius in den Rausch eines heiligen Bluesmanns. Er spielte unerwartet gestochene Triolen und führte wie an der Schnur gezogene Läufe vor. Mit flinken, behänden Fingern trieb er das Thema perlend hoch, hielt es in einem klaren, bald schmerzenden Diskant, um es dann von oben her abtropfen zu lassen und in kurzen Riffs wieder aufzufangen. Und nun jagte er das Ganze noch einmal klagend und schließlich jaulend verfremdet durch.
    Die Gitarre hatte er nach unten weggedrückt, er reckte sich auf und schien über ihrem Korpus die Dimensionen eines roten Riesen anzunehmen. Endlich waren sie durch, Onkel Tom sang die letzte Strophe, und bevor Henry den letzten Wirbel setzte, gaben sie ihm noch einmal Raum für einen abschließenden Lauf das Griffbrett hinauf und hinunter.
    Dann war Schluss. In den aufbrausenden Beifall hinein schrie Onkel Tom, dass man soeben den sensationellen JuliusBalser an der Gitarre gehört habe. Julius stand da, klitschnass, riss sich die Gitarre vom Hals und streckte beide Hände zu Fäusten geballt in die Höhe.
    Ich war stolz auf diesen dicken, durchgeschwitzten Kerl da oben auf der Bühne, der sich aus einer total aussichtslosen Lage herausgekämpft hatte. Was er gezeigt hatte, war alle Anerkennung wert. Doch jetzt wurde es noch einmal kritisch. Ich sah, dass der Beifall ihn auf eine Stimmungswolke hochkickte. Er war drauf und dran, sich das nasse, dunkelrot gewordene Shirt vom Leib zu reißen und in die Menge zu werfen. Aber zu guter Letzt besann er sich doch, denn wer wollte jetzt nach diesem tollen Solo mit dem Anblick einer weißen, behaarten Bierwampe abgewatscht werden? Niemand!
    Als ich ihn endlich umarmte, war es, als würde ich mit einem Dampfbügeleisen poussieren. War aber nun auch schon egal.
    – Mann, Julius, sagte ich, durch so ein Solo gewinnt man den Glauben an unsere von diesem Leben versaute Generation wieder. Wenn einer das in seinen alten Tagen noch mal hinlegt …
    Julius grinste verlegen.
    – Echt?
    – Absolut!
    Julius guckte so rührend schamhaft wie Yogi Bär, der seinem Ranger endlich das Jawort gibt. Ich musste einfach noch einmal Körperkontakt zu dem Dampfbügeleisen aufnehmen. Nun fixierte ich ihn ganz ernst.
    – Julius, aber jetzt lässt du den Scheiß mit deiner Band, ja?
    Auch Julius setzte ganz sacht zur Landung an.
    – Okay, versprochen!
    – Wenn einer wie du das schafft, was dir heute Abend gelungen ist, dann kriegt er auch sonst wieder den Arsch aus dem Dreck. Verstehst du?
    – Klar, Gossec. Mach dir da mal
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