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Muenchen Blues

Titel: Muenchen Blues
Autoren: Max Bronski
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Kleinholz gehauen und entsorgt. Saisonal schichtet man das Angebot um, man hat Erfahrung, und im Herbst sind eben aus guten Gründen Bavarica absolut angesagt.
    So lief es auch dieses Jahr, im Prinzip saugut. Pünktlich zum Einzug der Wiesnwirte wurde noch einmal die Sommersonne angeknipst. Dieser Pakt mit dem Himmel funktionierte so reibungslos und hielt die ganze Zeit über, dass Kernbayernschon allein deshalb immer katholisch bleiben wird. Gegen acht Uhr schloss ich den Laden und zog wie immer in diesen zwei Wochen den Rollladen vors Schaufenster, weil ich nicht testen wollte, wozu ein enthemmter Besucher mit einem geklauten Maßkrug und dem unstillbaren Drang nach meiner Ware fähig sein kann. Ich zog mich in meine Wohnung zurück, zwei Zimmer, Küche, Bad, direkt hinter dem Laden.
    Bei der letzten Haushaltsauflösung hatte ich alte »Prinz Eisenherz«-Bücher entdeckt, die wollte ich in Ruhe durchblättern. Mit ein paar Selbstgedrehten und Weißbier hätte das ein beschaulicher Abend werden können. Man hat in diesen Zeiten keinen großen Aktionsradius. Mit dem Auto dem Rummel zu entfliehen, hätte bedeutet, auf Alkohol weitgehend verzichten zu müssen. An jeder nennenswerten Oktoberfest-Ausfallstraße war Polizei postiert, um die Betrunkenen aus dem Verkehr zu ziehen. Nach den harten und betriebsamen Tagen, wie sie im Moment zu absolvieren waren, hatte ich überhaupt keine Lust darauf, mit der Bieruhr im Kopf herumzulaufen. Und die öffentlichen Verkehrsmittel kamen für mich zurzeit auch nicht infrage. Man stand eingekeilt in der schwiemeligen Schar dieser Bayrisch-Herz-kostümierten Leute, die nicht einmal mehr vor dem Lodentanga zurückschreckten. Wie eine Planierraupe ist Landhausmode über den Geschmack dieser Republik gefahren. Schon deshalb ließ ich meinen alten Janker mit grünem Kragen dauerhaft im Schrank, mit dem ich mich noch vor etlichen Jahren in Göttingen als Förster vom Silberwald beschimpfen lassen musste.
    Gegen halb neun hörte ich von draußen ein Klatschen auf dem Pflaster, als sei einer mit dem Gesicht voraus aufs Trottoir gefallen. Wenn ich irgendeine arme Sau liegen sehe, brichtsich die Pfadfindererziehung in mir Bahn. Also schaute ich lieber gar nicht hinaus. Gegen neun Uhr war jedoch nicht mehr zu überhören, dass jemand durch den unteren Türschlitz in meinen Laden hineinröchelte. Es war eine ganz seltsame Mischung aus rasselndem Schnarchen und schmerzvollem Stöhnen. Vorsichtshalber ließ ich die Ladentür geschlossen und ging hintenherum durch den Hof.
    Tatsächlich lag auf der Schwelle ein Mann auf dem Bauch, Gesicht nach unten, wie in Schwimmhaltung einen Arm nach vorne, den anderen nach hinten. Es sah so aus, als wollte er durch die geschlossene Tür in den Laden kraulen. Seine Alkoholaura war derartig massiv, dass er sich promillemäßig in menschliche Grenzbereiche vorgewagt haben musste. Da er hin und wieder stöhnte, lebte er noch. Ich drehte ihn auf den Rücken. Er sah fürchterlich aus, das Gesicht blutig zerschrammt, das Hemd hing ihm halb offen aus der aufgeknöpften Hose, weil es so heillos Betrunkene da unten zwar irgendwie auf-, aber nicht mehr zukriegen, und er stank nach Urin, weil sie auch beim Pinkeln nicht aufhören können, vorwärts zu stolpern. Bierleichen sind normalerweise nicht mein Problem, man ruft die Sanitäter und lässt sie abtransportieren. Aber der da hatte keine Brieftasche, keine Armbanduhr, kein Handy, keinen elektronischen Schlossöffner und auch sonst nichts mehr, womit er sich als Mitglied unserer hoch technisierten Gesellschaft hätte ausweisen können. Mit anderen Worten: Man hatte ihn ausgeraubt. Seine Hosentaschen waren leer, nur oben in der Brusttasche seines Hemds steckte eine mehrfach gefaltete Einladung der Global Real Estate in das Bräurosl-Festzelt. Dahinter klebten zwei zerknitterte Visitenkarten. Danach lag der Landtagsabgeordnete ErnstHirschböck aus Niederottling an der Ilz vor mir auf dem Boden. Ich klopfte ihm die Wange.
    – Hallo!
    Er riss die Augen auf und lallte, der Traublinger solle mit dem Wagen kommen.
    Da war ich sicher, dass ich Hirschböck vor mir hatte, denn er sprach Niederbayerisch.
    Es ist Auswärtigen schwer zu erklären, was einem Oberbayern niederbayerisch anmutet. Da ist etwas Gemeinsames bei gleichzeitiger Fremdheit, und die gibt den Ausschlag. Wer die in München geltende Regel abändern möchte, gehört automatisch nach Niederbayern: beim Schafkopfen einen Farbwenz spielen wollen. Einen Dialekt
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