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Muenchen Blues

Titel: Muenchen Blues
Autoren: Max Bronski
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meinem Laden verkloppe? Ein Bandscheibenvorfall oder Hexenschuss kann meinen Ruin bedeuten. Deshalb ist eine gute muskuläre Ausstattung für mich lebenswichtig. Wer regelmäßig so ein Kraftstudio besucht, kann einen sozialen Brennpunkt unserer Zeit intensiv studieren. Ben’s Studio wird von immer mehr Grauköpfen frequentiert. Gut gelaunte Rentner, die nach einem gemütlichen Frühstück mit ihrer Sporttasche ins Studio zackern. Sie sind fit wie Mungo, neben dem Krafttraining fahren sie noch Rennrad, schwimmen regelmäßig und treffen sich zugeselligen Wanderungen. Seit Neuestem bringen sie auch noch ihre Frauen zur Körperertüchtigung mit. Diese Generation schickt sich mit ihren noch komfortablen Rentenbezügen an, unsterblich zu werden.
    Am Abend eines solchen Katastrophentages beschloss ich, mir einen Stimmungsaufheller zu spendieren. Mit dem prall gefüllten Oktoberfestsäckel konnte ich mir noch ein paar Sonnentage auswärts gönnen. Allein reisen kann ich nicht. Also wollte ich meinen Freund Julius zur Mitfahrt überreden.

5
    Julius Balser war bis vor ein paar Jahren so etwas wie ein erfolgreicher Kleinunternehmer. Er hatte ursprünglich Rechner samt Peripherie repariert, später dann in Firmen Netzinstallationen gemacht. Frühzeitig war er ins Internetgeschäft eingestiegen. Allen, die sich dort weltweit präsentieren wollten, bot er einen Komplettservice. Julius verdiente gut und freute sich, wenn er mich mit seinen paar angelernten Brocken Wirtschaftsenglisch beharken konnte. Dabei gehörte ich noch nie einer »Old Economy«, sondern der Abfallwirtschaft an, denn ich sorge dafür, dass Leute kaufen, was andere wegwerfen. Aber Julius ist auch auf dem Gipfel seines geschäftlichen Erfolgs eine gute Haut geblieben, der mir mehr als einmal mit Krediten aus der Klemme geholfen hat. Damals war er eine große Nummer, der von Herrn Biereisl, dem Filialvorstand seiner Bayerischen Volksvereinsbank, persönlich gefragt wurde, ob er nicht vielleicht ein bisschen mehr Kredit in Anspruch nehmen möchte, um das Geschäft auszubauen. Julius musste ihm in die Hand versprechen, den irgendwann fälligen Börsengang nur mit ihm durchzuziehen. Später, als alles vorbei war, tat Biereisl kund, dass Leute wie Julius mit ihren Gespinsten beinahe das kerngesunde Bankgewerbe zu Fall gebracht hätten.
    Die Geschäfte waren nicht nur schlechter geworden, auch die Konkurrenz hatte sich verschärft. Vor gut zehn Jahren gab es im angrenzenden Glockenbachviertel noch eine Vielfalt von Milch-, Feinkost- und Gemüseläden. Inzwischen sind dort Chocolaterien und Internet-Jungfirmen eingezogen. Plötzlich bevölkerten Käsekuchengesichter mit stylischen Brillen, die optische Akzente wie Ohrfeigen verabreichten, die Szene. Dazu trugen die jungen Männer angepappte Helmfrisuren nach Art des frühen John Lennon und vor allem Ringe an den Daumen. Diese ständig fußwippenden Techies konnten Handy, Keyboard und TV-Fernbedienung gleichzeitig steuern, und wenn es sein musste, arbeiteten sie für lau, weil es trotzdem Spaß und Renommee brachte.
    Im Vergleich zu ihnen wirkte Julius wie ein tapsiger Saurier im Endstadium. Wenn er zu einem Kunden musste, begann er schon Tage vorher seinem Unmut Luft zu machen. Diese Idioten hatten von nichts eine Ahnung und wollten ihm auch noch Vorschriften machen. Aber zu wenig bezahlen. Bevor er aufbrach, zwängte er sich in einen grauen Kaschmirpullover, in dem er aussah wie eine schwangere Maus, und saß dann schlecht gelaunt, mit apoplektisch roter Birne beim Kunden, der mit so einem Rechthaber sehr bald nichts mehr zu tun haben wollte.
    Der Aufprall war ziemlich hart. Julius musste seine Haidhauser Wohnung kündigen und zog in sein Büro in der Zenettistraße. In Schwabing würde man so eine Hinterhoflocation Loft titulieren, im Schlachthof ist der ehemalige Metzgerbetrieb nur eine heruntergekommene Hinterhofbude, deren Wände dauerhaft mit Lyoneraroma imprägniert sind. Dort lag Julius mit für gewöhnlich rot gekifften Rattenaugen und bei zugezogenen Vorhängen im Bett und verschaffte sich mit seinem Infrarotkeyboard alle nötigen Informationen über die Welt da draußen. Von hier aus ließen sich alle Pizza- und Asiafood-Dienste weltweit steuern. Im Kiffernet konnte man diskutieren, was sich gegen seine chronische Bindehautentzündung tun ließ, um nicht wie ein Alien auszusehen. Da die verbliebenen Kumpels ebenfalls stets online waren, überkam Julius nie Einsamkeit. Über Temperaturen und
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