Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Muenchen Blues

Titel: Muenchen Blues
Autoren: Max Bronski
Vom Netzwerk:
Schauerwahrscheinlichkeit in Prozent war er bestens informiert, ohne je den Finger ins Freie halten zu müssen, weil er die Daten immer aktuell auf dem Monitor hatte. Julius verließ sein Wohnbüro eigentlich nur noch, um sich Schweizer Hochlandshit von seinem Lieferanten zu besorgen. Bei dieser Gelegenheit schaffte er auch größere Mengen Nudelterrinen und Fruchtbuttermilch in seinen Bau.
    Meine Interventionen waren bislang fruchtlos geblieben. Als ich ihn neulich besuchte, lag er wie immer im Bett, so breit wie eine XXL-Pizza. Ich warf ihm seine Post hin, die ich aus dem überfüllten Briefkasten gepuhlt hatte. So ging es los mit dem Absturz ins Pennertum. Er hob wortlos die Hand und starrte auf den großen Bildschirm, den er auf einem Regal am Fußende seines Betts aufgestellt hatte. Er blätterte sich durch eine Galerie nackter Frauen.
    – Was soll denn das?, fragte ich. Hast du nichts Besseres zu tun, als Pornos zu gucken?
    Julius schürzte schmollend die Lippen.
    – Studien sind das.
    Ich lachte.
    – Ich würde sagen: nackte Weiber. Frisch aus dem Hasenstall.
    Er frischte mit einem kräftigen Schluck seine weiße Buttermilchschnute auf.
    – Europäische Ethnologie, wenn du es genau wissen willst. In unserem Forum wird das rauf und runter diskutiert.
    Man war ja einiges gewöhnt. Mein Vater sagte auch immer, wenn er Dallas im Fernsehen anschaute, er wolle nur sehen, was die Amerikaner heutzutage in ihren Serien so alles anstellten. Demgegenüber war Julius’ Ausrede geradezu steil.
    – Aha. Und worum geht es in dieser Ethnologie?
    – Sitten und Gebräuche von Einheimischen, antwortete Julius.
    – Hoppla!
    Julius richtete sich auf und zog seinen Tabaksbeutel unterm Bett hervor.
    – Warum nehmen wir Ketchup zur Currywurst? Wieso backen die Italiener keine Brezeln? Warum haben wir in München die Weißwurst und nicht den Ansbacher Presskopf erfunden? Das ist europäische Ethnologie, mein Gutester.
    Sein arrogantes Gehabe brachte mich auf die Palme.
    – Und was erforscht du, bitte schön!, an nackten Weibern, die du dir massenhaft vom Playboy downgeloadet hast?
    Einhändig drehte sich Julius seine Zigarette. Fehlte nurnoch, dass er den kleinen Finger dabei abspreizte. Er warf mir den Beutel zu.
    – Also, ein Kumpel von mir hat einen Sohn, und der studiert Ethnologie in Berlin. Sein Spezialgebiet ist Mode. Im Wandel der Zeit und so.
    Er zündete seine Zigarette an und nahm einen tiefen Zug.
    – Und was man da so am Körper macht. Frisuren, Tattoos, so Sachen, verstehst du. Und da hat bei uns im Forum jemand die Frage aufgebracht, wann das eigentlich angefangen hat mit der Schamhaarrasur.
    Mit dem großen Zehen zog er den Aschenbecher zu sich her.
    – Wenn du dir heute nicht den Sack rasierst, bist du ein Dreckbär. Wieso eigentlich? Dieses Thema ist ein Knaller! Aber da hieß es dann, so etwas kann der Junge nicht untersuchen, weil er keine Datenbasis hat. Und da habe ich nachgedacht.
    Triumphierend sah er mich an.
    – Fünfzig Jahre Playboy , logisch! Alle Covergirls. Super-Datenbasis. Da kannst du das minutiös nachvollziehen. In den sechziger Jahren siehst du nichts, da durften sie da unten noch nicht fotografieren, aber in den Siebzigern haben die alle noch so richtig Wolle zwischen den Beinen. Mitte der Achtziger geht es dann los: ganz klar gestutzt, aber so, dass niemand es merken soll. Der Natur ein bisschen nachgeholfen. Ende der Achtziger wird es krass. Richtig künstliche Formen, wie sie nie wachsen können, bis hin zu dem schmalen Menjoubärtchen, das sie heute alle tragen.
    Der Mensch war mir regelrecht unheimlich geworden.
    – Jetzt mal das Wort zum Sonntag von mir. Aber ernst gemeint. Es ist geradezu erschütternd, womit du deine Zeit totschlägst. Das sage ich dir als alter Freund. Dass du in der Krise steckst, weiß ich. Aber gleich so?!
    Julius schluckte. Langsam ließ er sich auf den Rücken sinken und starrte die Decke an.
    – Ich habe auch wieder angefangen, Gitarre zu spielen, sagte er nach einer langen Pause. Vielleicht reicht’s ja bald für ein paar Gigs, einen Geburtstag oder sonst ein Jubiläum, wo sie die alten Nummern hören wollen.
    Lauernd sah er mich an. Aber mir platzte der Kragen.
    – Gitarre spielen!, schrie ich los. Und demnächst wieder Lego? Bis du denn irre, Mann. Wo lebst du überhaupt? Du machst ja nicht einmal mehr deine Post auf, du Penner.
    Jetzt war Julius erschüttert. Er schob seine ständig verschmierte Brille die Nase hoch. Dann setzte er sich auf und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher