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Blitz bricht aus

Blitz bricht aus

Titel: Blitz bricht aus
Autoren: Walter Farley
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Kampf in der Nacht
     
    Der graue Wallach Napoleon war kugelrund und gut beeinander. Seine Wohlbeleibtheit kam vor allem von seinem gelassenen Temperament und von seiner Fähigkeit, sich in jede Lebenslage einzufügen. Im Augenblick stand er mit halbgeschlossenen Augen da, das eine Hinterbein angezogen, in bequemer, entspannter Haltung. Nur seine langen Ohren bewegten sich; sie flatterten ein wenig, als wären sie ihm ein bißchen zu schwer. In dieser friedvollen Juninacht bot er ein Sinnbild der Zufriedenheit. Er hätte auch keinen Grund gehabt, anders zu empfinden, denn er war sehr einverstanden mit seinem Leben. Er war längst kein Jüngling mehr.
    Das Gras seiner Koppel bewegte sich in dem leisen nächtlichen Wind wie Wasser, das von einer leichten Brise gekräuselt wird. Die Sterne und der Mond schienen hell auf die Zäune der Koppeln und die Dächer der Ställe und des Wohnhauses, die ganz in der Nähe standen.
    Endlich ermunterte sich der alte Graue, um ein wenig umherzuschlendern. Er war sehr wählerisch, nahm immer nur ein paar Maulvoll Gras, wenn er stehenblieb; dann ging er weiter und versuchte, ob an einer andren Stelle etwas wuchs, was seiner verwöhnten Zunge mehr zusagte. Doch er verweilte sich nicht lange, sondern kehrte bald zu seinem Lieblingsplätzchen unter der großen Eiche zurück, stellte sich bequem hin und schloß wieder die Augen.
    Alles war ruhig wie es sein sollte. Der dunkle Umriß des riesigen schwarzen Hengstes »Blitz« in der an die seine anstoßenden Koppel bewegte sich langsam, und man hörte ihn mit seinen scharfen Zähnen Gras rupfen und zerkauen. Die leise flatternden Ohren des Grauen waren sehr scharf. Er verfolgte die Bewegungen seines Freundes Blitz genau, und über den jeweiligen Standort des riesigen schwarzen Hengstes »Vulkan«, dessen Koppel an die andre Seite der seinigen grenzte, wußte er gleichfalls Bescheid; er hatte ihn vor wenigen Augenblicken schnauben hören.
    Der Wind wurde stärker. Die Nachtkühle, die Napoleons Körper umwehte, tat ihm wohl nach der Hitze des Tages. Sein Behagen wurde verstärkt, weil ihn jetzt auch die lästigen Fliegen nicht quälten. Man konnte sagen, daß es ihm geradezu paradiesisch gut ging: über Tag ein Stall, der ihn vor den Fliegen beschützte, und des Nachts die herrliche Freiheit der Koppel! Dieses Leben führte er nun schon mehrere Wochen, und es würde andauern, so lange in den Koppeln Frieden herrschte. Der alte Graue wußte das alles sehr genau, denn er besaß die Erfahrung eines langen Lebens.
    Er wußte auch, warum er die Koppel zwischen Blitz und Vulkan bekommen hatte: um auf der Hut zu sein und auf die beiden aufzupassen, die einander nicht leiden konnten... Diese Dinge hatte er schon vor langer Zeit gelernt. Er erfüllte seine Pflichten sehr willig, denn zu wissen, daß er gebraucht wurde, daß er eine Aufgabe zu erfüllen hatte, gab ihm ein gutes Gefühl. So alt er war, er brachte den Menschen noch Nutzen, und sie liebten und pflegten ihn dafür. Jetzt öffnete er seine Augen und sah an den Koppelzäunen entlang, und dann, als ob er Trost und Sicherheit empfangen hätte, weil sie so fest und hoch waren, erlaubte er seinen Lidern, wieder zuzufallen. Und dieses Mal fiel er in tiefen Schlaf.
    Er erwachte vom Rauschen des Windes, der sich in einen Sturm zu verwandeln begann. Der Mond wurde von schwarzen, eilenden Wolken verdeckt; die Sterne waren Stecknadelkopf klein und verbreiteten auf der Erde kein Licht mehr. Die große alte Eiche gewährte dem grauen Wallach Schutz vor dem Wind, und er hatte keine Lust, dies geschützte Fleckchen zu verlassen. Außerdem hatte er ja auch keinen Grund wegzugehen, er brauchte nur stehen zu bleiben und abzuwarten, bis sich der Wind wieder legte. Wenn er sich zu einem richtigen Sturm auswuchs, würden bald die Lichter im Wohnhaus angehen, und gleich darauf würden die Menschen kommen, um ihn und die andern in die Ställe zu bringen. Er stellte sich noch ein wenig dichter an den Baumstamm und lauschte dem Sausen in den Zweigen über ihm.
    Der Wind und die undurchdringliche Schwärze der Nacht lenkten Napoleons Aufmerksamkeit von den Bewegungen des riesigen Hengstes zu seiner Rechten ab. Blitz war schon eine ganze Weile mit leichten, vorsichtigen Schritten am Koppelzaun auf und ab gelaufen; nur seine Augen offenbarten die Erregung, die in ihm schwelte. Er verursachte kein Geräusch außer dem leisen, flüchtigen Schlag seiner Hufe im Gras. Noch hielt er den schrillen, angriffslustigen Schrei,
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