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Muckefuck

Muckefuck

Titel: Muckefuck
Autoren: Georg Lentz
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Die Kochuhr hatte ihr ein Russe weggenommen. Als Folge warihr Lebensrhythmus durcheinandergekommen. Sie schlief jetzt immer fast bis zum Mittagessen. Und klagte über gestörte Verdauung. Wahrscheinlich hatte sie sich da auch nach dem Rhythmus ihrer Uhr gerichtet.
    Endlich, Weihnachten war vorbei, endlich entschloss sich Gustavchen, die Messer zu wetzen. Der Borch war inzwischen riesig, jedenfalls, wenn Gustavchen nicht danebenstand. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er einmal, vor Monaten, an der Lenkstange eines Fahrrades gehangen hatte. »Nu isser fett«, sagte Großmutter. In einem neuen Anfall von Baulust errichtete sie außen an der Waschküche aus Gipsplatten, die jahrelang hinter dem Schuppen gelegen hatten, eine Räucherkammer. Mit Abzug oben. »Sägespäne sollten besorgt werden«, überlegte sie. »Fürs Räuchern das Beste.« Also zog ich tagelang durch den Vorort, bis ich ein paar Säcke Sägespäne bekam. Obwohl einige Tischlereien im Auftrag der Amerikaner arbeiteten, waren Sägespäne merkwürdigerweise Mangelware.
    Der Tag, an dem der Borch geschlachtet wurde, kam heran. Wir hatten beschlossen, auf die Trichinengefahr nicht mehr zurückzukommen. Gustavchen, in strahlend weißer Schürze, stieg in den Koben. Schlug dem Borch mit einem großen Hammer vor den Kopf. Der Borch blieb stehen, quiekte einmal sehr hoch. Wieder schlug Gustavchen zu. Der Borch ging in die Knie, schaute Gustavchen mit einem unsagbar wehmütigen Blick an, in dem, wie Gustavchen später sagte, »alles Leiden der gequälten Kreatur« lag, fiel auf die Seite. Tot war er!
    Wir hievten das schwere Biest aus dem Koben. Gustavchen setzte ihm das Messer an die Kehle. Großmutter kniete davor, mit einer Waschschüssel. »Das Blut muss dauernd gerührt werden«, erklärte sie. Dann schoss der hellrote Strahl in die Schüssel. Großmutter rührte.
    Das Schwein blutete aus, wurde zusehends blass, selbst unter seiner Dreckkruste. Im Waschkessel kochte Wasser. Wurde in einen Holzbottich gefüllt. Wir setzten das Schwein hinein, das nun wie eine dicke Frau beim Baden aussah, von Dampf umwallt, schrubbten es, entfernten die Borsten. Bald sah das Schwein sauber und appetitlich aus. Gustavchen arbeitete wie ein Berserker, schwitzte mächtig. Trank viel Bier, gleich aus der Flasche. Wir banden den Borch mit den Hinterläufen an eine Leiter. Richteten die Leiter auf. Der Borch hing nun mit dem Kopf nach unten. Aus seiner klaffenden Halswunde tröpfelte immer noch Blut. Die Zunge hing lang heraus. Gustavchen setzte das Messer an und trennte das Schwein von oben bis unten auf, mit einem einzigen, gekonnten Schnitt. Legte dampfende Eingeweide frei.
    Es dauerte zwei Tage und eine Nacht, bis das Schwein verwurstet, zerlegt, eingepökelt, bis die Räucherkammer gefüllt war. Gustavchen schleppte im Dunkeln seinen Anteil in einem Pappkoffer nach Hause, unbemerkt von Agathe und ihrem Liebhaber. Pökelte auch dort ein, im Keller von Fanselows Haus.
    Unsere Ernährung war wieder gesichert, der Borch bereicherte unseren Speisezettel auf das Köstlichste, Würste und Speck dienten gelegentlich als Tauschobjekt, um Teigwaren und Mehl zu erstehen. Brot buk Großmutter selbst, im Backofen des Kohleherdes, den sie, zeitgemäß wieder in Betrieb genommen hatte. Herrliche, duftende runde Brotlaibe. Schmalz drauf vom Borch, Griebenschmalz! Ein bisschen Salz, fertig. War das keine Mahlzeit? Dazu Muckefuck, leicht veredelt. Auch die Gerste für den Ersatzkaffee röstete Großmutter selbst in einer speziell dafür eingerichteten Pfanne. Man musste oben auf dem Deckel eine Kurbel drehen.
    Im folgenden Herbst geschah zweierlei: Millie kehrte zurück, und Großmutter starb.
    Millie tauchte eines Tages in der Laube auf, in einem grünen Regenmantel nach US-Art, ließ durchblicken, dass er jetzt für den CIA arbeite (was sich als Schwindel herausstellte), und behauptete ferner, dass seine Blinddarmnarbe eitere, weshalb er sich unbedingt für einige Zeit bei uns einquartieren müsse. Abends brachten ein paar verdächtige Gestalten, die wie Millie behauptete, gleichfalls zum CIA gehörten, ein amerikanisches Feldbett. Millie garnierte seinen Körper auf diese Liegestatt, warf ein paar Rotkreuzdecken über sich, die er bei uns fand, und blieb sechs Wochen in dieser Haltung. Leidenschaftlich gerne aß er Schlackwurst. Die gab es ja bei uns. Millie fand durch geschicktes Fragen schnell die Geschichte mit dem Borch heraus und zeigte sich nicht verlegen, am Verzehr der Vorräte
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